Lied aus Halle besingt Herbst
Halle/MZ. - Den Text schuf 1782 der schweizerische Dichter Johann Gaudenz Freiherr von Salis-Seewis, der als "Bündner Nachtigall" im Weimarer Kreis um Goethe, Schiller und Wieland hohes Ansehen genoss. Die Melodie komponierte 1799 Johann Friedrich Reichardt. Im geselligen Kreis wurde es in Reichardts Garten gesungen und später in Musiksammlungen publiziert.
Reichardt begann schon mit dem Sammeln von Volksliedern und Volkstänzen "unter Landleuten auf dem Felde und in Schenken", lange bevor Arnim und Brentano ihre Volksliedersammlung für "Des Knaben Wunderhorn" begannen. Beide waren auch zu Gast in Halle und erhielten von Reichardt Anregungen für ihr Vorhaben.
Wie der Text nun von Salis-Seewis aus der Schweiz zu Reichardt nach Giebichenstein kam, ist nicht belegt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Künstler während ihrer Aufenthalte in Weimar kennen lernten. Reichardt selbst war immer interessiert an neuen musischen Produktionen seiner Zeitgenossen, die im 18. Jahrhundert, dem "Jahrhundert der Geselligkeit", in den Salons des Bürgertums vorgestellt wurden, bevor sie gedruckt ein breites Publikum erreichen konnten. Wie auch immer das Herbstlied aus der Schweiz nach Giebichenstein kam - Reichardt fand in seinem Garten am Saaleufer nach der Entlassung aus dem Amt des Hofkapellmeisters genug Muße, um sich der Komposition der Melodie zu widmen. Auf seinem Alterssitz Giebichenstein versuchte Reichardt, seine Vorstellungen vom Leben mit und in der Natur, vom Ideal der Freundschaft und des geselligen, bildenden Umgangs mit Menschen zu verwirklichen. Naturgenuss und künstlerische Arbeit konnten sich in seinem Garten, der "schönsten Komposition seines Lebens", verbinden, wie das Herbstlied verdeutlicht.
Auch heute hat der Garten sein Flair als "baumumrauschte Insel" erhalten. Reichardt, ein wegweisender Künstler der Goethezeit, ist weitgehend vergessen. Seine Volkslieder aber - "Bunt sind schon die Wälder", "Wer hat die schönsten Schäfchen" oder "Wenn ich ein Vöglein wär" - sind bei denen angekommen, für die Reichardt sie komponiert und die Dichter sie geschrieben haben.