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Kunsthalle Talstrasse Romantik-Schau in Halle: Es wird einmal

Die Kunsthalle „Talstrasse“ in Halle feiert die „Sehnsucht Romantik“ mit überraschenden historischen und zeitgenössischen Werken. Es ist die richtige Schau am richtigen Ort.

Von Christian Eger Aktualisiert: 12.08.2024, 09:41
Damals: Carl Hasenpflug entwirft den „Blick auf eine gotische Ruine“ (1836, Ausschnitt)
Damals: Carl Hasenpflug entwirft den „Blick auf eine gotische Ruine“ (1836, Ausschnitt) (Foto: Städtisches Museum Halberstadt)

Halle/MZ. - Die Stadt Halle braucht nicht eigens ein Caspar-David-Friedrich-Gedenken, um aus Anlass des 250. Geburtstages des Malers die Romantik zu feiern  – denn die Romantik ist in Halle immer da. Was heißt: Sie ist immer vor Ort. Man muss sie nicht einmal suchen. Was Eichendorff in Halle besang, ist zu sehen und zu begehen: „Da steht eine Burg überm Tale / Und schaut in den Strom hinein, / Das ist die fröhliche Saale, / Das ist der Giebichenstein.“

Dort, im topografischen Dreieck zwischen der Burg Giebichenstein, Reichardts Garten und den Felsen am Saaleufer gegenüber, vor denen heute die Kunsthalle „Talstrasse“ steht, hat die historische hallesche Romantik ihr Hauptquartier. Und von diesem Sonnabend an für drei Monate in der Kunsthalle ihren Schauraum.

Kloster statt Kaserne

„Sehnsucht Romantik“ heißt die verblüffend vitale, durchweg anregende Ausstellung, die sich als eine willkommene Überraschung in die landläufigen Friedrich-Feiern einfügt, ohne ausschließlich diesem einen Maler zu huldigen.

Aber auch, ohne diesen zu ignorieren. Friedrich, der 1811 die Stadt durchreiste, hatte seine Halle-Vision in einem Gemälde gestaltet, das den Titel „Die Schwestern auf dem Söller am Hafen (Nächtlicher Hafen)“ trägt. Es zeigt den Roten Turm, die vier – gestalterisch veränderten – Türme der Marktkirche, daneben die Takelage von Schiffen. Halle an der Saale am Meer? Heute hängt das Bild in der Eremitage in Sankt Petersburg. Im Foyer der Talstrassen-Ausstellung ist es als Reproduktion zu sehen.

Die Schau begreift die Romantik nicht als eine akademisch abhakbare Epoche, nicht als einen künstlerisch eindeutig kenntlichen Stil, sondern als eine Haltung, die mit dem Epochenwechsel um 1800 nicht aussetzte, sondern sich bis in die Gegenwart erneuert.

Aber was ist die Romantik? Es wäre müßig, hier in kleinteilige Definitionen einzusteigen. Es geht einfacher: Romantik meint das, was ja der Name sagt – das Romantisieren, das Verfahren, die Welt als einen Roman zu betrachten, fortgesetzt zu poetisieren. Das macht den Unterschied zur vorherigen Vernunftkunst: Erzählung statt Erklärung, Aura statt Analyse, Innerlich- statt Öffentlichkeit, Wald statt Plantage, Kloster statt Kaserne, Wohnzimmer statt Büro.

Heute: Markus Matthias Krüger malt „Senke“ (2022), Acryl und Öl auf Leinwand
Heute: Markus Matthias Krüger malt „Senke“ (2022), Acryl und Öl auf Leinwand
(Foto: Galerie Schwind, Leipzig)

Das alles zeigt die Schau in Variationen: das verlassene Kloster, den verwunschenen Wald, das versonnene Wohnen. Wie diese Motive – als ein folgenreicher Influencer-Vorfall – über mehr als 200 Jahre ihren Lauf nahmen, wird hier nicht zeitlich, sondern thematisch dokumentiert, stets über gestalterische Wahlverwandtschaften mit der Gegenwart verkoppelt.

Alte hängt neben neuer Kunst, Gemälde von Carl Hasenpflug, Carl Blechen und Ludwig Witzel treten neben Arbeiten von Uwe Pfeifer, Wolfgang Mattheuer oder Albert Ebert auf, wobei letztere auch längst wiederum schon Klassiker sind. Aber auch die noch viel Jüngeren, nicht bereits Etablierten, kommen zum Zuge: Hjördis Baacke, Markus Matthias Krüger, Sten Gutglück oder Christoph Liedtke.

Hasenpflugs „Blick auf eine gotische Ruine“ von 1836, der im ersten Raum der Ausstellung neben Alexander Kanoldts „Kreuzgang II“ von 1919 hängt, kann für den historischen Romantik-Begriff als ikonisch gelten: Feierlichkeit, Handwerklichkeit, der Verweis auf ein verlorenes Wissen, das irgendwo wiedergefunden werden könnte.

In den Wäldern etwa, die heute auch Hjördis Baacke und Markus Matthias Krüger durchstreifen, in der eigenen Häuslichkeit, die Otto Möhwald sakralisiert, in der Geselligkeit, die Albert Ebert feiert – oder in der stadtlandschaftlichen Schönheit von Halle, der eine Wand mit Bildern gewidmet ist, darunter das kleine Gemälde von Otto Dix, das die Saale um 1910 samt Giebichenstein in einer pastosen Schneelandschaft zeigt.

„Wer Romantik sagt, sagt moderne Kunst“, wird in einem Raum der von Matthias Rataiczyk kuratierten Schau der Schriftsteller Charles Baudelaire zitiert und das, was er damit meint: „Innerlichkeit, Spiritualität, Farbe, Streben nach dem Unendlichen.“ Und in Halle auch die Hoffnung, dass aus dem „Es war einmal“ ein gelingendes „Es wird einmal“ noch werden könnte. Bei Wolfgang Mattheuer etwa, der mit den Jahren ein immer konservativerer Romantiker wurde, mit seinem Hochformat „Mensch! Ich seh’ die ganze Welt“ von 1976, auf dem ein Einzelner von einem Hügel aus die Welt umarmen will, die er übersieht. Oder in Uwe Pfeifers Plattenbauabendbild von 1973, das unter dem Titel „Poetischer Moment“ eine junge Frau zeigt, die aus dem warmen gelben Licht ihres Fensters in die Nacht schaut. Uwe Pfeifer 2022 in der Mitteldeutschen Zeitung: „Ich sehe mich als Romantiker.“

Kandinsky, Reichardt, Ernst

Eine Schau der Überraschungen, der Quer- und Seitenblicke, auch auf Reichardts Garten, Halles romantische Lage. Sogar ein kleiner Kandinsky und Max Ernst werden geboten. Und am Ende, zurückgekehrt an den Ausgang der Schau, fällt aus dem wandhohen Foyerfenster der Blick auf die Felsen im Garten der Galerie. Nicht Sehnsucht, sondern Treffpunkt Romantik müsste es hier heißen.

Bis 3. November: Galerie „Talstrasse“, Halle, Talstraße 23. Eröffnung: 10. August 17 Uhr. Danach: Mo-Fr 13-18, Sa-So 13-17 Uhr. Katalog mit Beiträgen von Simone Trieder, Gerd Spitzer und Christoph Sorger.