Kostenlos mit Bus & Bahn Kostenlos Bahnfahren in Halle (Saale): Wissenschaftlerin erklärt - So würde es sich für die Havag lohnen

Halle (Saale) - Die Diskussion um den kostenlosen Nahverkehr in Modellregionen hat hohe Wellen geschlagen. Auch in Halle haben sich viele Stimmen für ein solches Vorhaben ausgesprochen. Aber wie realistisch ist es, dass man kostenlos mit Bus und Straßenbahn durch Halle fahren kann?
Kostenloser Bus- und Bahnfahren in Halle: Lockt das überhaupt mehr Kunden?
Die Kölner Verkehrswissenschaftlerin Judith Kurte, Geschäftsführerin der Wirtschafts - und Verkehrsberatung KE-Consult, hat es durchgerechnet: „Laut einer ADAC-Umfrage aus dem Jahre 2017 ist der Ticketpreis ein wichtiges Kriterium für den Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr, bei weitem jedoch nicht das einzige.“
Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sowie die Fahrtdauer spielen ebenfalls eine Rolle. Auch fehlende direkte Verbindungen und damit verbundenes Umsteigen seien solche Faktoren. „Viele sind überhaupt nicht über die Preise zu locken, weil sie ohnehin mit dem Rad oder Auto fahren“, so Judith Kurte.
Ihr Fazit: „Es ist also davon auszugehen, dass Preissenkungen bis hin zum Gratis-ÖPNV zwar auf die Verkehrsmittelwahl wirken, diese aber von qualitätssteigernden Maßnahmen begleitet werden müssen.“
Kostenloser Nahverkehr in Halle: Wie viel würde das am Ende kosten?
Konkret würde das in Halle bedeuten, dass statt der aktuellen Zahl von derzeit rund 53 Millionen beförderten Fahrgästen im Jahr 2017 bei einer Preisreduzierung bis hin zum kostenlosen Nahverkehr nicht plötzlich ein Vielfaches an Tramfahrern gezählt werden.
Bei einem ticketfreien Nahverkehr könnte in Halle die Zahl der Nutzer auf knapp 70 Millionen anwachsen. „In der Fachliteratur geht man von einer Preiselastizität von 0,3 aus. Das bedeutet, dass eine Preissenkung um zehn Prozent zu einer Nachfragesteigerung um drei Prozent führt“, erläutert die Verkehrsexpertin.
Zudem würde bei einem Kostenlos-ÖPNV in Halle ein Defizit von mehr als 90 Millionen Euro auflaufen - heute sind es bereits 22 Millionen Zuschuss, die für den Betrieb notwendig sind. Havag und Stadt werden eine solche Summe wohl kaum stemmen können.
Kostenloser Nahverkehr in Halle zumindest in den Randzeiten?
Zudem, so Judith Kurte, müssten Preissenkungen bis hin zum Gratisverkehr mit Investitionen verbunden werden, etwa in neue Busse und Bahnen und in Haltestellen und Depots. „Allerdings gibt es durchaus andere Maßnahmen, die den ÖPNV in Halle stärken würden, ohne umfassende Maßnahmen ergreifen zu müssen“, erklärt sie.
Ansatzpunkt sind die Zeiten, in denen der Nahverkehr nur mäßig ausgelastet ist, also die Zeit zwischen 10 und 16 Uhr. Zu diesen Zeiten könnte für alle oder nur für bestimmte Gruppen wie Schüler, Rentner oder Hartz 4-Empfänger ein kostenloser Nahverkehr angeboten werden. „Die Fahrzeuge sind zu diesen Zeiten unausgelastet unterwegs, die Kosten durch den Zustieg weiterer Fahrgäste nahezu gleich Null“, so Judith Kurte.
Kostenloser Nahverkehr in Halle: Wie sich das Modell am Ende lohnen kann
Umgesetzt werden könnte dies durch die einfache Änderung der Geschäftsbedingungen, in denen eben in diesem Zeitraum Busse und Bahnen kostenlos sind, so dass auch keine Kontrollen notwendig würden. „Betriebswirtschaftlich lohnt sich ein kostenloser Nahverkehr natürlich nie“, sagt die Verkehrswissenschaftlerin.
Volkswirtschaftlich gebe es dagegen unterschiedliche positive Effekte wie die Einsparung von Parkplätzen und die Verminderung von Abgasen und Schadstoffen in den Städten. „Wenn der Gratis-ÖPNV politisch gewollt ist, muss er mit Investitionen und Finanzierungskonzepten begleitet werden“, so Judith Kurte. (mz)