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Konflikte mit Anwohnern Konflikte mit Anwohnern: Jugendcliquen zieht es vermehrt ins Stadtzentrum

Von Dirk Skrzypczak 07.06.2018, 05:00
Das Landesmuseum in Halle ist am Abend oft Treffpunkt für Jugendliche.
Das Landesmuseum in Halle ist am Abend oft Treffpunkt für Jugendliche. Silvio Kison

Halle (Saale) - In Halle zieht es die Jugendcliquen verstärkt ins Zentrum. „Das ist ein bundesweiter Trend, der auch in anderen deutschen Großstädten zu beobachten ist“, sagt Streetworkerin Andrea Bohne. Die Gruppen würden sich dann in der City treffen, am Landesmuseum für Vorgeschichte etwa oder auf der Peißnitz.

Das Problem: Dort, wo die Wohnbebauung dicht ist, sorgen die Jugendlichen auch immer wieder für Konflikte mit Anwohnern, die vor allem über die Lärmbelästigung klagen. Zumeist fließt dann auch der Alkohol in großen Mengen. „Und ab einem gewissen Level bekommen die jungen Leute dann auch nichts mehr mit“, sagt Bohnes Kollegin Kathrin Reinert.

Sechs Streetworker sind derzeit in Halle unterwegs

Sechs Streetworker sind derzeit im Stadtgebiet unterwegs, vier Frauen und zwei Männer. Zehn Stellen hatten die Stadt vorgesehen. Die Besetzungsverfahren laufen, heißt es am Dienstag auf der Beigeordnetenkonferenz. Im vergangenen Jahr kümmerten sich die Streetworker in einer Einzelbegleitung um 147 junge Menschen, der Großteil von ihnen ist älter als 18 Jahre. 56 Prozent der „Klienten“ sind männlich.

„Unsere Aufgabe ist es nicht, dass wir uns mit den Problemen befassen, die die jungen Leute verursachen. Wir kümmern uns um die Probleme, die sie haben“, sagt Bohne, seit 19 Jahren Streetworkerin. So helfen die Sozialarbeiterinnen beispielsweise Personen, die psychisch auffällig sind, in der Schule oder der Ausbildung nicht klarkommen, Schulden haben, in familiären Schwierigkeiten stecken, Drogen und Alkohol konsumieren, Unterstützung bei Behördengängen brauchen. Ein Schwerpunkt ist die Projektarbeit mit den Jugendlichen, beispielsweise die Unterstützung von Fußballturnieren auf Bolzplätzen.

Jugendcliquen in Halle: Rückt das Ordnungsamt an, ziehen die Gruppen weiter

Bei Cliquen wie am Landesmuseum sei es schwierig, Einfluss zu nehmen. „Wir reden mit den Leuten. Und kurzfristig hilft das auch. Sind wir aber wieder weg, dann geht es kurze Zeit später wieder los“, erzählen die Streetworkerinnen. An die jungen Leute verteilen sie Traubenzucker und Kondome, niedrigschwellige Prävention nennen sie das.

Ein Präventionskonzept für Halle soll bis Ende 2018 vorliegen. Im Mittelpunkt soll dabei das Innenleben der Familien stehen, sagte Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) am Dienstag auf der Beigeordnetenkonferenz. Wichtige Erkenntnisse erhofft sich der OB aus der Arbeit und den Erfahrungen der Schulsozialarbeiter. Er erwarte daher konkrete Ergebnisse aus den Schulen, „welchen nachhaltigen Erfolg die Schulsozialarbeit hat“. Und er wolle wissen, mit welchen Problemfällen die Sozialarbeiter zu tun haben. Diese Fakten sollen in das Präventionskonzept einfließen.
Schulsozialarbeiter gibt es derzeit an 42 Schulen in der Stadt. 35 Einrichtungen werden staatlich gefördert. Für sechs Grund- und eine Gemeinschaftsschule trägt die Stadt die Kosten. Für die Förderperiode ab dem 1. August 2018 bis 2020 liegen bislang Zusagen über eine Förderung aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) für 35 Schulen vor. Ob von der Warteliste weitere Schulen berücksichtigt werden, ist noch offen.

Rückt das Ordnungsamt an, ziehen die Gruppen weiter, suchen sich andere Orte. Vertreiben lassen sie sich aber nicht. „Vor allem Mädchen und junge Frauen kommen gern zum Landesmuseum, weil der Platz und die umliegenden Straßen gut beleuchtet sind. Da fühlen sich sie sich sicherer als etwa auf der Peißnitz.“

Braucht Halle mehr Freiräume für Jugendliche?

Viele dieser Cliquen hatten sich noch im vergangenen Jahr am Steintor aufgehalten. Auch hier gab es Streit mit den Anliegern, zudem sah das Areal nach nächtlichen Partys wie eine Müllkippe aus. Seit das Steintor von Mitarbeitern einer Security-Firma bestreift wird, hat sich das Problem erledigt. Die Meute hat sich ein neues Plätzchen gesucht und ist auch am Landesmuseum fündig geworden. „In einer Großstadt muss man damit wohl leben“, sagt Bohne.

Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) sieht die Stadt in einem Dilemma. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung, die steigende Einwohnerzahl und das Interesse von Investoren an Grundstücken verdichtet sich die Stadt. „Wir brauchen auch in der Innenstadt Freiräume, die wir bewusst offenhalten. Ich bin ein Freund davon, solche Konzepte zu entwickeln“, meint der OB.

Streetworker in Halle wollen auf Drang zur Innenstadt reagieren

Die Streetworker wollen auf den Drang zu Innenstadt jedenfalls reagieren. Sie wünschen sich ein zentral gelegenes Büro, von dem aus sie zwischen 8 und 24 Uhr ausschwärmen können. „Gut wären zudem Lastenfahrräder, mit denen wir beispielsweise alkoholfreie Getränke transportieren können, um sie an junge Leute etwa nach der Disco verteilen zu können. Jetzt haben wir dafür nur einen Bollerwagen“, sagt Bohne.

„Uns schwebt ein Raum am Hansering vor. Und wenn alle zehn Stellen besetzt sind, können die Streetworker differenzierte Angebote zu unterschiedlichen Tageszeiten machen“, sagt Katharina Brederlow, Sozialbeigeordnete in der Stadt. (mz)

Die Streetworkerinnen Katrin Reinert und Andrea Bohne
Die Streetworkerinnen Katrin Reinert und Andrea Bohne
Dirk Skrzypczak