Kaisers Granaten sind scharf
HALLE/MZ. - Wer würde glauben, dass vor zwei Jahren der Kampfmittel-Beseitigungsdienst im Löwengebäude einrückte, um eine Granate zu entschärfen?
Speler, der am Mittwoch 63 Jahre alt wird, schaut im Uni-Museum gelassen auf das Exponat: eine zehn Kilo schwere Sprenggranate. Auf der steht "10. / 11. Februar 1899 Wittenberg." Dass er sich mit dem 75 Millimeter-Geschoss aus der Kaiserzeit selbst in Gefahr brachte, überspielt er mit einem Lachen.
Wie Speler zur Munition kam, ist kein Geheimnis. Als 2007 der Mediziner Dr. Ernst-Jürgen Haberland aus der HNO-Klinik in der Magdeburger Straße in den Ruhestand verabschiedet wurde, wollte er dem Uni-Museum einige historische Sachen wie alte Zeichnungen und Mikroskope vermachen. "Doch mein Blick fiel gleich auf die Granate unter seinem Tisch", sagt Speler. Herausrücken wollte Haberland sie nicht. Das gute Stück, sagte er, habe sich schon immer im Besitz der Klinik befunden. Doch dem rhetorisch begabten Kustos gelang es natürlich, ihm irgendwann die historische Munition abzuschwatzen.
Voller Freude habe er das Artilleriegeschoss dann mitgenommen und im Auto transportiert. "Die Granate kullerte hinterm Sitz herum", erinnert sich Speler an die Fahrt. Als er seine neue Errungenschaft in der Kustodie vorstellte, gab es nicht nur Beifall. "Mir war nicht nach Spaß zumute, ich habe den Kampfmittel-Beseitigungsdienst verständigt", sagt seine Sekretärin Constanze Hertel. Die Sprengstoffexperten aus Magdeburg überbrachten dann die Nachricht, die wie eine Bombe einschlug: "Die Granate ist scharf." Speler: "Mir wurde gesagt, dass das Ding, wenn es im Auto hochgegangen wäre, einen Riesenkrater gerissen hätte."
Das Geschoss wurde konfisziert und sollte später gesprengt werden - wenn nicht Speler sein Veto eingelegt hätte. Er stellte bei der Behörde den Antrag, die Granate per Hand zu entschärfen und somit für das Museum zu erhalten. Heute steht das gute Stück in einer Glasvitrine. Und Speler wäre kein Historiker, wenn er nicht geforscht hätte, wem das 110 Jahre alte Kriegsgerät gehörte. Ab 1820, sagt Speler, war in Wittenberg lange Zeit das preußische Infanterieregiment stationiert. In jener Zeit sei Prof. Hermann Schwartze (1837 bis 1910), einer der berühmtesten deutschen HNO-Ärzte, militärisch aktiv gewesen. Der Kaisertreue, der am Feldzug gegen Frankreich teilnahm und das Eiserne Kreuz zweiter Klasse erhielt, habilitierte 1863 an der Uni Halle. Er war Reservist und könnte das Stück durchaus in seinen letzten Lebensjahren nach Halle mitgebracht haben, meint Speler. Vermutlich sei Schwartze dabei vorsichtiger gewesen als er.