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Ja, is' denn heut' schon Weihnachten?

Von Peter Godazgar 16.07.2006, 19:01

Halle/MZ. - Sie wurden bejubelt und sie wurden beklatscht. Sie gehörten zu den Blickfängen des an Blickfängen nun wirklich nicht armen Festumzugs - doch sie nahmen die Reaktionen, die sie auslösten, mit stoischer Gelassenheit entgegen. Wie es sich nun mal gehört für zwei Esel. Carolin und Charly aus dem halleschen Bergzoo waren - samt Zoo-Mitarbeitern Christiane Heidt und Marcus Körner - unter den ersten, die sich am Sonntag vom Moritzburgring ziemlich genau um 11 Uhr in Bewegung setzten.

"Kultur erleben", so lautete das Umzugsmotto. Und alle machten mit: Heimatvereine, Spielmanns- und Fanfarenzüge, Tanzgruppen, Institutionen, Unternehmen, Trachten- und Sportvereine, Chöre und Kapellen - "was es alles gibt", dieser Satz aus dem Mund einer Passantin fasste das Staunen über die Vielfalt in Sachsen-Anhalt kurz und bündig zusammen.

Volk huldigt dem Kaiser

Und so viel Prominenz hatte es wohl auch noch nicht gegeben auf Halles Straßen. Kaiser und Könige, Erzbischöfe und Herzöge, Markgräfinnen und edle Damen spazierten mit im 6,3 Kilometer langen Zug. Und? War Seine Majestät mit Volkes Reaktion zufrieden? Ja, doch, nickt Kaiser Otto I. alias Horst Otto vom Quedlinburger Freundeskreis Kaiserfrühling huldvoll, "die Hallenser verhielten sich durchaus angemessen".

Sehr schön, doch eine etwas respektlose Frage muss den hohen Herrschaften trotzdem noch gestellt werden: Ist es nicht furchtbar heiß unter der Kluft? Schließlich knallt die Sonne seit Stunden von einem wolkenlosen Himmel. "Och", sagt Martin Luther alias Reinhard Rauschning aus Wittenberg, "es geht". Und lüpft seinen Umhang einen Zentimeter. Darunter ist nur noch ein dünnes Hemd. "Alles nur Kulisse", sagt seine Gattin Katharina von Bora und lacht. Ja, und die Krone von Kaiser Otto I, die ist aus Blech.

Mancher fragte sich derweil: Ja, is' denn heut' schon Weihnachten? Das lag an Roland Halang, Bürgermeister des Örtchens Ilberstedt im Landkreis Bernburg. Er bekam besonders viele Zurufe, denn er war unterwegs als Nikolaus; begleitet wurde er vom Knecht Ruprecht und eben vom Weihnachtsmann.

Klar, die meisten Zuschauer hätten "überrascht bis belustigt" reagiert, sagt Halang. Die Verkleidung freilich hat einen Grund: Die Ilberstedter berufen sich dabei auf das so genannte "Tanzwunder zu Kölbigk", eine der berühmtesten Sagen Anhalts. Knecht Ruprecht soll eine Gruppe Bauern, die im Jahr 1021 zur Christnacht gesungen und getanzt haben, mit einem Fluch belegt haben: Ein ganzes Jahr mussten sie weitersingen und weitertanzen - und konnten nicht aufhören. Singen und tanzen - am Sonntag ließ sich das freilich niemand vom Knecht Ruprecht verbieten.

Kehrmaschinen-Quartett

Überhaupt war Ausdauer gefragt: Als sich nach 13 Uhr die letzten Gruppen sowie ein Kehrmaschinen-Quartett der Stadtwirtschaft von der Moritzburg aus in Bewegung setzten, hatten die ersten Gruppen den Weg längst schon hinter sich: geschafft, aber zufrieden. "War super, die Leute waren jut druff", sagte Ulf Schröter aus Reppichau im Landkreis Köthen. Er war in die Kluft des Erzbischofs von Magdeburg, Wichmann von Seeburg, geschlüpft. Manchmal allerdings, sagte er schmunzelnd, habe er sich schon gefragt, "ob die Leute mich an- oder auslachen."

Fast vier Stunden dauerte die Parade am Ende. Wie hatte eine Zuschauerin gesagt: "Das ist doch einmalig, so was!"