Hallescher FC Hallescher FC: Wechsel aus Liebe

Halle (Saale)/MZ. - Am Dienstag kurz vor 16 Uhr kletterten sie auf dem Parkplatz des Erdgas Sportparks aus ihren Kleinbussen. Ein kurzes Hallo, ein ebenso kurzes Lächeln, das bei den meisten der HFC-Spieler aber recht gequält aussah nach sieben harten Tagen im Trainingslager. Und schon sind sie verschwunden im Kabinengang zum Taschen verstauen, um dann schnell für ein paar Stunden die Beine hochlegen zu können. Denn bereits am Mittwoch um zehn Uhr bittet Trainer Sven Köhler zum nächsten Training.
Auch Pierre Becken nutzt die Zeit zum Entspannen. Ein Anruf bei Ehefrau Donja in Hamburg, die neuesten Fotos vom ein Jahr alten Töchterchen Aurora ansehen. So vergeht die Zeit wie im Flug. Für Becken ist die Familie ein und alles. Und während das bei vielen Sportlern wie eine flache Plattitüde rüberkommen mag, hat Becken das auf eindringliche Art bewiesen. Denn für seine Frau hat er vor zwei Jahren einen heute durchaus noch nicht alltäglichen Schnitt in seinem Leben vollzogen.
Er schwor dem christlichen Glaube ab und konvertierte zum Islam. Seine Frau hat afghanische und iranische Wurzeln. Eine übersetzte Fassung des Koran liegt bei ihm seitdem immer griffbereit. Selbst im Trainingslager in Pockau war das nicht anders.
Pierre Becken hat die Geschichte schon so oft erzählt, dass er selbst nichts Besonderes mehr daran findet. "Ich kannte meine Frau bereits zwei Jahre. Da entstand der völlig normale Wunsch, dass wir ein Kind haben wollten. Weil sie aber aus dem persischen Raum stammte, war das nur möglich, wenn ich zum Islam wechsle", erzählt er.
Umgestellte Ernährung
Es war beileibe keine Entscheidung von einem auf den anderen Tag. Aber so kompliziert, wie sich Außenstehende das vorstellen, war der Übertritt nun auch wieder nicht. "Ich habe viele Gespräche mit Bekannten geführt, habe mich in Büchern belesen und auch im Internet schlau gemacht", sagt er. Um in der neuen Glaubensgemeinschaft aufgenommen zu werden, musste er auch nicht wochen- und monatelang dicke Wälzer büffeln oder diverse Gebete auswendig lernen. Es reichte das Sprechen der "Schahada", des islamischen Glaubensbekenntnisses. "Ich musste nur das Glaubensbekenntnis sprechen. Das ging ganz schnell, das waren zwei Sätze", sagt Becken. Das öffentliche Aussprechen dieses Bekenntnisses in aufrichtiger Absicht ist ausreichend, um als Muslim anerkannt zu werden.
Seitdem Pierre Becken das Glaubensbekenntnis abgelegt hat, gehören die Lektüre des Korans, tägliche Gebete und auch eine völlig umgestellte Ernährung zu seinem Tagesablauf. Das Essen von Schweinefleisch ist seit dem Übertritt auch für ihn tabu. Doch das ist kein Problem. "Schweinefleisch hatte ich mir recht schnell abgewöhnt. Es gibt viele andere leckere Sachen, die man essen kann."
Auch im gerade zu Ende gegangenen Trainingslager gab es damit keine Schwierigkeiten. Gleich neben den Speisen für die übrigen Mannschaftskameraden stand extra ein kleines Schild mit der Aufschrift "Geflügelwurst". "Ich muss mich da eigentlich gar nicht mehr selbst drum kümmern. Der Verein weiß, dass ich Muslim bin, und klärt das alles dann schon im Vorfeld." Auch die Ernährung während des Ramadan, des islamischen Fastenmonats, sei für ihn kein Problem, sondern nur eine Frage der Gewöhnung und der Tageseinteilung, sagt der 24-Jährige.
Mit dem Übertritt zum Islam sei er kein anderer Mensch geworden, betont Becken. Nur weil er jetzt Muslim sei, habe er doch keine andere Sicht auf aktuelle gesellschaftliche Probleme, erklärt er und nennt als Beispiel Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. "Ich bin prinzipiell gegen so etwas, egal, ob auf der Straße oder im Fußballstadion. Allerdings wünschte ich mir, dass jeder gleich behandelt werden sollte, egal welche Herkunft er hat."
Pierre Becken fällt die räumliche Trennung von seiner Familie nicht leicht. Zumindest ist der Weg nach Halle schon einmal eine gute Stunde kürzer als der nach Jena. "Ich will im Fußball noch etwas erreichen", sagt er. "Die dritte Liga soll nicht die Endstation sein. Da muss ich jede sich bietende Chance nutzen." In diesem Satz schwingt Entschlossenheit mit, eine Eigenschaft, die sich durch sein Leben zieht.
St. Pauli bot Berufsausbildung
Die Anfänge sind schnell erzählt. Mit dem Fußball begann der selbstbewusste junge Mann im Nordseebad List auf Sylt. In dieser Zeit war er offensichtlich noch unentschlossen, denn er sagt: "Ich wäre auch ein guter Handball-Torwart geworden." Selbst die Leichtathletik interessierte den Blondschopf. Und dort vor allem die Langstreckenläufe. Statur und Übersetzung waren bei 1,91 Metern Körpergröße schließlich gegeben.
Nach seinem Wechsel zu den Fußballern von Flensburg 08 musste er sich endgültig zwischen dem kleinen und dem großen Leder entscheiden. "Es wurde das große", sagt er. Über den Husumer SV führte ihn 2008 der Weg zum FC Altona nach Hamburg, wo er erstmals Bekanntschaft mit dem HFC machte. Bei den Hamburgern stand Becken noch als Angreifer auf dem Platz. Im Januar 2010 kommt Becken zum FC St. Pauli, wo er von Trainer Jörn Großkopf zum Abwehrspieler umfunktioniert wurde. Er spielt in der Reserve, darf auch ab und an einmal mit den Profis trainieren. Das konnte es aber nicht gewesen sein. Auch deshalb nimmt nun sein Leben neben dem Fußball richtig Fahrt auf.
Der Verein arbeitet mit der Sparkasse zusammen. Beide bieten den jungen Profis mit Blick auf ihre Zukunft eine duale Ausbildung. Becken zeigt seine Entschlossenheit und greift zu. "Man weiß ja nie, wie das mit dem Fußball läuft", sagt er. Er hat alles richtig gemacht - sportlich, im Beruf und privat.
HFC bietet Becken neue Chance
Aber ausgerechnet jetzt, wo das junge Familienglück am größten ist, zieht es den Vater in die Fremde. "Ich bin schon 24. Wenn ich als Fußballer noch vorankommen wollte, musste ich die Chance bei Carl Zeiss Jena nutzen", erzählt Becken von seinem Wechsel zu den Thüringern im letzten Winter. "Wichtig war, dass ich zuvor meine Ausbildung bei der Bank abschließen konnte." Und weil das mit dem Klassenerhalt in Jena nicht klappte, bot sich mit dem HFC eine neue Chance. Natürlich griff er zu. anz wie der Becken - entschlossen.