Halle Halle: Unter dem Vulkan

Halle (Saale)/MZ. - Vielleicht war es nicht nur "edle Einfalt, stille Größe", die die adligen Kavalierstouristen und bildungseifrigen Winckelmann-Jünger des 18. Jahrhunderts nach Pompeji trieb. 1752 war unter dem Asche-Schutt der untergegangenen Römerstadt eine ganz besondere Marmorplastik gefunden worden: die erste jener deftigen Erotika, die ausgewählten (älteren) Herrschaften in verschwiegenen Kammern - -und später in der Geheimkammer des Nationalmuseums in Neapel - zu ihrem verhuschten Ergötzen gezeigt wurden.
Jetzt aber vergnügen sich Pan und die Ziege mitten im Kabinett, das in der Ausstellung "Pompeji" im halleschen Landesmuseum für Vorgeschichte den Dessauer Vorreitern des Klassizismus gewidmet ist. Auf dem Boden trockener Gelehrsamkeit sind ja die pseudo-antiken Gartenreichs-Träume des Fürsten Franz und seines Architekten Erdmannsdorff auch gewiss nicht gewachsen: Und das nimmt das Museum denn auch zum Anlass, Pompeji nun umgekehrt von Italien in die Region zu holen.
Kühnste Wünsche erfüllt
Und die liefert noch mehr Gründe, warum ein Museum weit jenseits vom Limes die römischen Sitten feiert. Denn den verfeinerten Geschmack der Dekadenz wussten durchaus auch die germanischen Fürsten zu schätzen, die die Römer nur vom Hörensagen kannten, aber ihre zu Lebzeiten gesammelte mediterrane Handelsware und ihr Patriziergeschmeide mit ins Grab nahmen: Eine Edeldame aus Profen zum Beispiel liebte Schmuck im römischen Stil, eine aus Kleinjena hielt Öl in Achatfläschchen von derselben Machart bereit wie ein Cremetöpfchen aus Pompeji.
Freilich, für den Besucheransturm, den diese Ausstellung von Freitag an auslösen wird, braucht es solche förderpolitisch relevanten Gründe nicht. Der Mythos Pompeji besitzt auch 250 Jahre nach der Wiederentdeckung der Stadt und 2 000 Jahre nach Plinius' melodramatischem Augenzeugenbericht vom Vesuvausbruch des Jahres 79 nach Christus eine ungebrochene Strahlkraft. Nicht umsonst zählt die Stadt, in der das Alltagsleben unter der Asche erstickt ist, ebenso wie das im Lavastrom versunkene Herculaneum zu den Magneten des Italien-Tourismus. Allerdings: Von den ausgegrabenen Häusern stürzen mittlerweile die ersten aus Mangel an Pflege wieder ein, ganze Stadtteile verwildern. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum die peinlich berührte Antikenverwaltung so auffallend großzügig war, selbst noch die kühnsten Wünsche des halleschen Museums und ihres Himmelsscheiben-Matadors Harald Meller zu erfüllen. Halle zeigt die bewegendste, bildmächtigste, fesselndste und erzählfreudigste Ausstellung, die es seit langem zum Thema Pompeji gegeben hat.
Und man kann es sich sogar leisten, gleich zu Beginn mit einem noch kaum bekannten Fund aus jüngster Zeit aufzutrumpfen. In einem Vorort von Pompeji stieß man bei Straßenbauarbeiten auf ein römisches Haus von bislang unbekannter Bestimmung. Dafür wird vor Ort ein neues Museum gebaut, Halle zeigt aber jetzt schon die Fresken eines Bankettsales.
Wie die Gladiatoren kämpften
Auf dem erdig schimmernden Rot der Epoche erscheinen filigrane Architekturen, dazwischen schwebende Musen. Ringsum illustrieren Zitate aus Petronius' ironischem, aber lustvoll geschildertem "Gastmahl des Trimalchio" die veschwenderischen Festtagssitten der Römer. Die werden eins zu eins dokumentiert anhand von Tafelgeschirr und Spielsteinen, von verkohlten Gartenfrüchten und gar einem Tonkäfig für den Siebenschläfer, den man "mit einem Überzug aus Honig und Mohn" verspeiste.
Doch es geht noch kostbarer, noch üppiger und vornehmer. Ein ganzer Raum ist dem "Haus des Menander" gewidmet, vom Moment der Ausgrabung, als die ersten Säulen des Gartenhofes aus der Erde wachsen, bis zur Gesamtschau in einem eigens für die Ausstellung angefertigten Korkmodell. Was dort im Kleinen zu erkennen ist, ein Lebensstil kultivierten Wohlstands und gediegenen Reichtums, wird dann anhand der Funde Raum für Raum vorgeführt. Freilich, ein wenig zu kurz kommen die einfacheren Leute, die in den Städten am Golf wie überall im römischen Reich ihr Dasein als Müller, Bäcker, Wäscher oder gar Sklaven fristeten.
Und es gibt einen Blick in die Welt der Massenvergnügungen. Wie heiß her es ging bei den Gladiatorenkämpfen überliefert eine Freskenszene mit einer in die Stadt ausufernden Schlägerei verfeindeter Fangemeinden. Die Gladiatorenkaserne wurde in Pompeji komplett mit allem Waffengerät, mit figurengeschmückten Bronzehelmen und ziselierten Rüstungen ausgegraben, ja auch mit den Graffitis von glorreichen Kämpfern. Die dienen als Vorlage für einen Zeichentrickfilm eines drastisch karikierten Zweikampfs.
Buchstäblich flackert über allem die Allgegenwart des Vulkans. Die latente Bedrohung und die hereingebrochene Katastrophe am Golf begleitet die Menschen dort seit Generationen. Man begegnet denn auch den mitten aus dem Leben gerissenen, im Gas-Schwall erstickten Toten von Pompeji, deren Volumina im Erdreich erhalten blieben und mit Gips ausgefüllt werden konnten.
Und Katastrophen gab es vor Pompeji, wie die 4 000 Jahre alten Fußspuren fliehender Menschen und Tiere aus Nola bezeugen, und es gab Katastrophen seitdem. Zuletzt 1944, als die Amerikaner mitten im Krieg die Zerstörungsgewalt eines Lavastroms für die Wochenschau filmten. Seither ist es grummelnd still am Golf von Neapel, wo inzwischen hundertmal mehr Menschen auf viel mehr Fläche leben als je zuvor, im vollen Bewusstsein, dass ihr Leben ebenso grauenvoll untergehen kann wie Pompeji, dann aber millionenfach.
Die Ausstellung öffnet Freitag um 9 Uhr für das Publikum und läuft bis 8. Juni : Di-Fr 9-17 Uhr, Sa, So, Feiertage 10-18 Uhr, Mo nach Voranmeldung. Eintritt: Erw. 8 Euro, erm. 5 Euro, Kinder 6-14 Jahre 3 Euro, Familien 16 Euro.