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Halle Halle: Übergriffe in Jobcentern nehmen zu

Von Anja Herold 18.11.2012, 18:31

Halle (Saale)/MZ. - Es gibt Jobs, von denen man denkt, dass sie niemand wirklich gern machen möchte. Politesse zum Beispiel. Oder Fahrkartenkontrolleur. Oder Vermittlerin im Jobcenter, Integrationsfachkraft genannt. Gabriele Voß ist eine von ihnen, seit fünf Jahren schon, und sie macht ihre Arbeit gern, wie sie beteuert. Im 15. Stock in Neustadt - in einer der sogenannten Scheiben mit Namen "Servicecenter" - sitzt sie jeden Tag und betreut diejenigen, deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt auf ein Minimum geschrumpft sind. Die Langzeitarbeitslose genannt werden, von Hartz IV leben oder "Aufstocker" sind und häufig mehr brauchen als nur die Information, wo vielleicht gerade eine Stelle frei ist.

Wie die junge Mutter, deren drei Kinder bei Pflegefamilien leben, die ihre Miete nicht mehr zahlen konnte, obdachlos wurde und dazu noch von ihrem Mann regelmäßig verprügelt wurde. "Wir haben Kontakt zum Jugendamt und kürzlich die Information bekommen, dass die Kinder zu ihrer Mutter zurückkehren können." Das große Netzwerk, sagt Gabriele Voß, über das das Jobcenter verfüge, ermögliche diese Hilfe.

Gabriele Voß ist eine resolute, fröhliche Frau. Sie betreut sechs Kunden am Tag. Auf jeden bereitet sie sich vor, zwischen 30 und 60 Minuten kann ein Gespräch dauern. Manche Menschen trifft sie zweimal im Jahr, das ist das Minimum, andere bestellt sie öfter. Die Leute bekommen einen festen Termin, Wartezeiten gibt es kaum noch.

"Es kommt natürlich vor, dass Kunden einfach nicht erscheinen. Bevor ich dann Sanktionen verhänge, erkundige ich mich aber, was los ist." Sanktionen, sprich Leistungskürzungen, meint Gabriele Voß, brächten ohnehin nicht viel. Wichtiger sei, dass Ziel, nämlich die Vermittlung von Arbeit, im Auge zu behalten. "Man darf auch nicht zu viel erwarten. Menschen ändern sich nicht innerhalb kurzer Zeit. Und die Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit, emotionale zum Beispiel, darf man nicht unterschätzen."

Nach der Messerattacke in Neuss im September und dem angedrohten Amoklauf auf das Servicecenter in Neustadt im Oktober haben sich Vorfälle dieser Art gehäuft. Weißenfels, Hettstedt, Dessau vermeldeten ähnliche Angriffe. In Halle wartet man nun darauf, dass diese Welle wieder abflaut. Derzeit wird das Sicherheitskonzept überarbeitet, die Mitarbeiter nehmen an einschlägigen Weiterbildungen teil.

Nein, sagt Gabriele Voß, die Angst säße bei ihr nicht mit am Tisch. Wenngleich sie vermutlich froh ist, den Hilferufknopf am Computer zu haben. "Ich versuche, schon die Vorzeichen zu erkennen. Lächelt der Kunde? Schaukelt er sich langsam hoch? Dann werde ich leiser, damit er mir zuhören muss. Ich vermeide das Wort ,aber' im Gespräch. Ich mache selber Atemübungen, um runterzufahren."

Und so konnte sie selbst bisher Attacken vermeiden, wenngleich Beleidigungen und Bedrohungen relativ häufig vorkommen. Und sie wurde schon gerufen zu Kolleginnen, um einzugreifen. Kürzlich zum Beispiel, als ein Mann eine Mitarbeiterin bespuckte und erklärte, die Schlampe hätte ihm gar nichts zu sagen. Oder als eine andere Kollegin mit einem Messer bedroht wurde. Manchmal seien die Leute noch ansprechbar und würden gehen nach Aufforderung, aber mitunter müsse der Wachschutz eingreifen. Vorfälle dieser Art werden umgehend gemeldet, es werden Anzeigen gestellt und grundsätzlich Hausverbote erlassen. Was bedeutet, dass die Betroffenen das Haus ohne Einladung überhaupt nicht mehr betreten und auch zum Gespräch nur in Begleitung erscheinen dürften. "Die Kolleginnen sind nach solchen Vorfällen meist geschockt, zumal sie manchmal gar nichts dafürkönnen".

Gabriele Voß nennt als Beispiel den Fall, wo ein Mann im Gespräch sehr laut geworden sei und sich dann herausstellte, dass er selber vergessen hatte, den Fortsetzungsantrag für die Zahlungen vom Amt zu stellen. Um mit solchen Situationen umgehen zu können, um sich überhaupt in diesem Job wohlfühlen zu können, sagt die 48-Jährige, seien zwei Dinge unerlässlich: "Eine soziale Ader. Und Instinkt."