Halle Halle: Schlafende Schlote
Halle (Saale)/MZ. - Leerstehende Zeugen der Industriegeschichte Halles gibt es überall. Sie sind das verfallende Erbe eines dynamischen Aufbruchs, als die Schlote in Halle noch rauchten und sich in nur 100 Jahren die Bevölkerung mehr als versechsfachte - bis auf 200 000 Einwohner im Jahr 1930. Für Generationen bedeuteten diese Fabriken Arbeit und Teil des Lebenslaufes. Viele dieser Giganten hatten irgendwann schlicht ausgedient, wie die Malzfabrik oder die Papierfabrik Kröllwitz. Andere hat die DDR-Planwirtschaft ihrem Ende entgegengetrieben, wie die Meisterbräu-Brauerei an der Saale. Und dem Großteil der übrigen versetzte ab 1990 die Marktwirtschaft den Todesstoß. Die Gegenwart dieser verfallenden Industriedenkmäler ist fast immer traurig, ihre Zukunft meist ungewiss.
Malzfabrik
Sie sieht aus wie eine Burg, die Hallesche Malzfabrik Reinicke & Co., erbaut 1882 am ehemaligen Thüringer Bahnhof. Hoch ragen die Dunstschlote dieses gewaltigen Backsteinbaus empor. Ab 1870 boomte in Halle das Brauereigewerbe - viele Menschen wollen viel trinken. 1889 gab es 27 Mälzereien in der Stadt. Die größte, die Malzfabrik, hatte der Unternehmer Bruno Reinicke gegründet. Mit Kriegsunterbrechungen wurde hier bis 1960 Malz produziert. Doch dann war diese Produktion überholt, Malzfabriken wurden nicht mehr benötigt. Später dienten die riesigen Hallen und Kellergewölbe der GHG Haushaltwaren und der SGB Schuh- und Lederwaren Halle noch als Lager. Die unter Denkmalschutz stehende Fabrik ist heute im Besitz eines Privatinvestors. Sie gehört zum Industriebau-Erbe, für das noch Hoffnung besteht: Seit August 2007 ist ein Teil des Gebäudes saniert und wird jetzt als Fitnessstudio genutzt.
Papierfabrik Kröllwitz
Die Papierherstellung in der späteren Cröllwitzer Actien-Papierfabrik reicht bis ins Jahr 1715 zurück. Die ehemalige Kefersteinsche Papierfabrik mit Lumpenlager, Wohn- und Verwaltungshaus und einem bis heute erhaltenen Turbinenhaus aus dem Jahr 1882 stellte 1940 den Betrieb ein. Anwohner hatten den Gestank moniert. In den letzen Jahren sind im Industriekomplex am Saale-Wehr erste Wohnungen entstanden.
Meisterbräu-Brauerei
Die Pracht des Industriebaus "Freybergs Brauerei" in der Glauchaer Straße offenbart sich am eindruckvollsten von der Saale aus. Dort erhebt sich wie ein Palast die zerstörte Glasfassade der einstigen Schwankhalle von 1912. Die größte Brauerei Halles wurde bereits 1816 durch Christian Gottfried Rauchfuss gegründet. Ab 1920 übernahm der Unternehmer Herrmann Freyberg. Acht Namen - ab 1948 "VEB Brauhaus Halle" - trug die Firma bis zu ihrem Ende. Das kam 1990, als EKU Kulmbach die "Meisterbräu-Brauerei" kaufte. Noch im gleichen Jahr wurde die Produktion eingestellt, 1994 der Betrieb geschlossen. Das war gleichzeitig auch das Ende des industriellen Brauerei-Wesens in Halle. Genau 100 Jahre früher hatte es noch 13 Brauereien gegeben. Einige der heute auch nicht mehr ganz so jungen Hallenser erinnern sich noch an Partys in der leeren Brauerei-Hallen in den 90ern. 2001 kaufte der Münchner Investor, dem auch die Malzfabrik gehört, das Industriedenkmal: Ein Einkaufspark sollte entstehen. 2005 ließ er Gebäudeteile abreißen, was wegen des Denkmalschutzes gestoppt wurde.
Karbidfabrik
Das Betriebsgelände an der Fiete-Schulze-Straße ist ein verlassenes, zugewuchertes Areal. Bis zur Wende hat man hier aus Kalziumkarbid Acetylen produziert. Das Gas wurde etwa zum Schweißen benötigt. In Halle war übrigens 1930 die Mitteldeutsche Schweißlehr- und Versuchsanstalt gegründet worden. Der Betrieb ist eine von mehreren Industriebrachen in Halle-Ost. Die Stadt will in dem Gebiet für 15 Millionen Euro die Straßen ausbauen und so vielleicht auch dem Gelände der alten Karbidfabrik wieder eine Zukunft geben.
Porzellanwerk
Als Heinrich Baensch 1858 seine Porzellanmanufaktur an der Salzmünder Straße gründete, gehörte Lettin noch nicht zu Halle. Das Lettiner Porzellan war in erster Linie einfaches und erschwingliches Tafelgeschirr. Der Betrieb ging mehrfach pleite, die Produktion des Porzellans, hergestellt mit Material aus dem Kaolin- und Tonwerk Salzmünde, aber ruhte nie. Die Fabrik wurde 1946 enteignet und 1953 als "VEB Porzellanwerk Lettin Halle / Saale" der Verwaltung Volkseigener Betriebe (VVB) der keramischen Industrie angegliedert. Zur Wende gelangte das Porzellanwerk mit seinen 350 Beschäftigten als Teil des Kombinats Colditz zum Verkauf. Aber niemand wollte es haben. 1992 war endgültig Schluss mit dem Traditionsgeschirr. Dabei waren erst Mitte der 80er Jahre neue Hallen und auch ein Tunnelbrandofen statt der damals noch einzigartigen historischen Rundbrandöfen gebaut worden. Eine Zeit lang diente die Werkhalle noch als Gokart-Bahn, aber auch das ist schon seit vielen Jahren Geschichte. Der Betrieb verfällt, nur die Räume der Brennerei und Malerei hat der Besitzer eines darin untergebrachten Autohauses saniert.
Schlachthof
Der städtische Schlacht- und Viehhof, erbaut 1893 in der Freiimfelder Straße, ist wohl der größte Schandfleck der Stadt. Auf dem 4,5 Hektar großen Gelände des alten Rittergutes Freiimfelde wurde Halles erstes Schlachthaus mit Viehhof eröffnet. Der Viehhof bestand aus vier massiven Markthallen für "Großvieh, Kleinvieh, Landschweine und Schweine aus Österreich-Ungarn", die insgesamt etwa 2 000 Stück Vieh fassten, wie es in der Erklärung des Magistrats zur Eröffnung heißt. Außerdem entstanden gewölbte Stallungen. Hintergrund dieser städtischen Gründung waren die Schlachtvorschriften in Preußen von 1868. Durch den Schlachthof konnten die verbotene Privatschlachtung durchgesetzt und die Bevölkerung der Großstadt versorgt werden. Außerdem dämmte der Bau den Viehtrieb durch die Stadt ein und ermöglichte die Überwachung der Hygiene von Fleischproduktion und -handel. Damals wurden jährlich 8 000 Rinder, 15 500 Kälber, 15 500 Schweine und 800 Pferde zur Schlachtbank geführt.
Die letzte Modernisierung erfuhr Halles Schlachthof in den 1960ern, als ein neuer Kühlraumbau entstand. Sonst wurde kaum investiert. 1989 brach dann der Umsatz ein: Westdeutsches Fleisch überschwemmte den Markt. Das Aus kam aber mit den Hygienenormen der Europäischen Gemeinschaft 1993. Drei Jahre später wurden die Ruinen versteigert. Seither tauchte das Areal nur noch durch Brände in den Medien auf.