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Halle/Saalekreis Halle/Saalekreis: Achim Lipp überlebte Schiffskatastrophe

Von kornelia privenau 04.05.2012, 20:17

wettin/MZ. - Der 100. Jahrestag des Untergangs der "Titanic" am 15. April 1912 hat vier Männern einer Studenten-Band aus Hamburg ein eigenes Erlebnis wieder ins Bewusstsein gerückt. Sie haben am 7. September 1966 vor New York die vollständige Zerstörung des Luxusliners "Hanseatic" durch ein verheerendes Feuer überlebt. Seitdem treffen sich die Vier - heute alle über 60 Jahre alt - jedes Jahr ein Mal, um ihre Rettung zu feiern.

Schlagzeuger der "Von Walden Combo" war der Museumspädagoge und Maler Achim Lipp, der heute in Mücheln (Stadt Wettin-Löbejün) lebt und arbeitet. "Meine Erinnerungen an die Ereignisse von damals sind erstaunlich frisch", erzählt er. "Und ich kann immer wieder nur sagen, wir hatten ein Dutzend Schutzengel, mindestens." Die vier Musiker waren 22 Jahre jung, liebten Jazz und Pop und für sie war es "wie ein Fünfer im Lotto", ein Engagement für vier Touren Hamburg-New York zu bekommen. "Reich konnten wir damit nicht werden, es gab ein Taschengeld. Das Essen war super, die Unterkunft absolut exklusiv und wir hatten die Chance, die aufregendste Stadt der Welt kennenzulernen, ohne einen Pfennig dafür zu bezahlen", sagt Achim Lipp mit leuchtenden Augen.

Dass die erste Fahrt ihre letzte werden würde, hatten sich die Musiker freilich nicht träumen lassen. Zunächst aber genossen die Studenten die Fahrt über den großen Teich. "Wir spielten für die Passagiere nachmittags zum Tee und abends zum Tanz. Egal, bei welcher Windstärke", erinnert sich der Schlagzeuger und amüsiert sich heute noch über das krampfhafte Bemühen der Tänzer, bei ordentlichem Seegang einen langsamen Walzer aufs Parkett zu legen.

In New York machte die "Hanseatic" am Pier 84 fest. Die rund 1 200 Passagiere gingen von Bord und die Musiker hatten Freizeit. "Wir besuchten einige Jazzlokale und hörten den Schlagzeuger von Benny Goodman, Gene Krupa live. Das war unglaublich, wir sind fast ausgeflippt", sagt Lipp. Jung und voller Abenteuerlust genossen die vier Studenten das Leben in vollen Zügen. Nach dem Landgang hieß es zurück auf den Pott, wo sich bis zur Rückfahrt nach Hamburg nur noch die Besatzung aufhielt.

Im Morgengrauen gab es Unruhe im Schiff. "Zunächst hatten wir keine Ahnung, was los war", erzählt Lipp. Plötzlich ging das Licht aus. Die Männer beschlich ein mulmiges Gefühl. "Als dann aus dem Hahn für Kaltwasser plötzlich kochend heißes Wasser schoss, ahnten wir, irgendetwas ist passiert", sagt Lipp. Von einem Feuer wussten die Musiker noch nichts. Und dabei wüteten die Flammen bereits im Maschinenraum, fraßen sich immer weiter durch das Schiff nach oben in die Mannschaftsräume, Restaurants, Salons und Passagierkabinen.

Schließlich hieß es "Feuer im Schiff - alle Mann von Bord!" Die Musiker konnten sich unversehrt an Land retten, auch die Besatzungsmitglieder. "Kleidung, persönliche Sachen und die Instrumente mussten wir zurücklassen." Das ging allen so, die die Nacht an Bord verbracht hatten. Jeder rettete nur, was er am Leibe trug. In den dramatischen Momenten habe niemand an sein Gepäck gedacht,. Das Wichtigste, so Lipp, war, dass alle Menschen unverletzt die "Hanseatic" verlassen konnten.

Derweil hatten schon unzählige New Yorker Feuerwehrleute die Bordwand geentert, um mit Äxten die Fenster einzuschlagen und für die Löscharbeiten auf das Schiff zu gelangen. "Erst am Kai sahen wir das ganze Ausmaß der Katastrophe", sagt Lipp und meint: "Wir sind ganz schön still geworden, das war ein Schock."

Aus allen Schornsteinen drang dicker schwarzer Qualm. Von Seeseite her kamen Feuerlöschboote. Die Einsatzkräfte versuchten stundenlang, den Brand einzudämmen. Ohne Erfolg. Die "Schöne aus Hamburg", wie Medien den Luxusliner später nannten, war verloren.

Lipp und seine Freunde hörten noch im Hafen, dass an Bord kein Löschwasser verfügbar war und die Rettungsboote nicht hätten eingesetzt werden können, weil ihre Verankerungen immer wieder mit Farbe überstrichen und deshalb verklebt gewesen seien. "Wenn das Feuer auf hoher See ausgebrochen wäre", sagt Achim Lipp, "wären wir verloren gewesen."

Mit dem Flugzeug kehrten die Musiker nach Deutschland zurück. Später wurden ihnen einige Habseligkeiten zugestellt, die nicht Raub der Flammen geworden waren. Das sei noch einmal ein sehr bewegender Moment gewesen. So konnte Achim Lipp einen Doppelknopf seines Musiker-Outfits mit dem Symbol der "Hanseatic" wieder in den Händen halten, ebenso wie einen Gepäckanhänger mit der Nummer 5729. Er sei sehr froh, kurz vor der Flucht noch den Fotoapparat gegriffen zu haben. "Beim Betrachten der Bilder wird uns immer wieder bewusst, wie viel verdammtes Glück wir hatten. Wir haben überlebt", sagt der Künstler. Musik auf See hat die Band weiter gemacht - auf einem Ausflugsdampfer nach Helgoland.

Wenn sich die vier mit den Jahren grau gewordenen Jazzer in Mücheln auf dem Templerhof, Lipps Zuhause, treffen, dann glühen die Instrumente: In memoriam "Hanseatic ".