Halle Halle: Glocken läuten für die Rettung Halles vor 65 Jahren
HALLE/MZ. - Pfarrer Friedhelm Kasparick drückt auf alle drei Schalter: Rund 50 Meter über ihm beginnen "Luther", "Paulus" und "Christus" dröhnend zu schlagen. Es ist 10.55 Uhr am Montag. Wie in der Pauluskirche läuten in der Stadt am Montag rund zehn Minuten lang die Glocken: Am 19. April 1945 um diese Zeit war in Halle der Krieg offiziell zu Ende. Zum ersten Mal wird daran in Halle in dieser Form erinnert. Rund 30 Gemeinden sind aufgerufen, sich zu beteiligen. "Wir nennen es Friedensläuten. Es ist ein Freudentag, denn wir müssen nicht wie andere Städte größerer Zerstörung oder Opfer zum Kriegsende gedenken. Vernünftiges, menschliches Handeln hat das verhindert", sagt Initiator Kasparick. Ob sich am Montag alle Kirchen an der Aktion beteiligen, weiß er nicht. "Wir sind da basisdemokratisch. Das ist ja nur ein Vorschlag." Mehrere Leser teilen der MZ mit, dass einige Glocken nicht geläutet hätten.
Zur Marktkirche heben am Montag nur einige wenige Passanten erstaunt den Blick empor: Pfarrer Harald Bartl hat das Geläut mit der großen Festtagsglocke schlagen lassen. Die 74-jährige Helga Müller bleibt stehen und lauscht. "Ich bin 1945 ein paar Wochen vorher mit meiner Mutter und meinem kleinen Bruder als Flüchtlinge in die Stadt gekommen. Es gab sehr viele Flüchtlinge, die Krankenhäuser waren voll. Eine Bombardierung wäre sehr schlimm gewesen", sagt sie. Und neben ihr ergänzt Passantin Kathrin Haußner: "Verhandeln ist immer besser, als auf einander zu schießen." "Wir sind dankbar, dass Halle das Schicksal der großflächigen Zerstörung erspart blieb", sagt Pfarrer Bartl, der auch an der Kirche auf dem Markt steht.
Flugblätter mit der Frage "Übergabe oder Vernichtung! Noch stehen eure Häuser!", hatte der Kommandeur der 104. US-Division über der Stadt abwerfen lassen. Laut dem halleschen Historiker Professor Erwin Könnemann gab es den Bombardierungsbefehl bereits: "In drei Wellen sollten die Bomber zunächst die Bevölkerung mit Sprengbomben in die Keller treiben, dann würden neuartige Phosphorbomben eingesetzt, die bis in die Keller durchschlügen, eine Feuersbrunst würde entstehen, die einen Sauerstoffmangel bewirkte, man rechne damit, dass etwa 30 bis 40 Prozent der 250 000 Einwohner ein Opfer des Bombardements würden", schreibt er in seinem Aufsatz "Die Bewahrung Halles vor der totalen Vernichtung". Durch die Verhandlungen mehrerer besonnener Hallenser mit den Amerikanern, aber auch die Räumung der Stadtzentrums durch die Kampfgruppen, blieb Halle vom Bombardement verschont. An die Rettung Halles soll nun alljährlich der Klang der Glocken erinnern. "Vielleicht können wir ja eine Tradition begründen", hofft Paulus-Gemeindepfarrer Kasparick. Die drei Glocken der Kirche wurden übrigens 1956 gehängt. Denn ihre Vorgänger waren im Krieg eingeschmolzen worden.