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Halle Halle: Ernüchternde Bilanz

Von michael tempel 22.01.2012, 16:55
Da muss noch ziemlich lange geputzt werden: Erst 2019 sollen die Löhne der Gebäudereiniger in West und Ost gleich sein. (FOTO: DPA)
Da muss noch ziemlich lange geputzt werden: Erst 2019 sollen die Löhne der Gebäudereiniger in West und Ost gleich sein. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Halle (Saale)/MZ. - Christine Stechemesser ist nicht zu beneiden. Die Ausbilderin bei der halleschen Niederlassung des Tüv Rheinland akquiriert Teilnehmer für einen Ausbildungskurs zur Gebäudereiniger-Hilfskraft. Die Zielgruppe sind Arbeitslose, denen das Jobcenter oder die Arbeitsagentur den Kurs bezahlt. Doch obwohl jedem Teilnehmer nach sechs Monaten Ausbildung ein Job in einer Reinigungsfirma zugesichert wird (Mindeststundenlohn 7,33 Euro) und obwohl bei Bedarf gleich der Führerschein abgelegt werden kann: Es will kaum jemand mitmachen.

Am Info-Tag zum Kurs haben gerade einmal fünf Interessenten vorbeigeschaut. "Acht weitere hatten sich telefonisch gemeldet", sagt Stechemesser. Weil die Nachfrage in den Folgetagen auch nicht viel besser wurde und weil die Mindestteilnehmerzahl 15 noch nicht zusammengekommen ist, wurde der ursprünglich geplante Kursbeginn vom 23. Januar auf unbestimmt verschoben. Ausbilderin Stechemesser ist ernüchtert, schließlich sei der Job eines Gebäudereinigers wegen geforderter Kenntnisse in den Fächern Chemie und Biologie sowie aufgrund des wachsenden Aufgabenspektrums anspruchsvoll.

Den Kurs vollzubekommen, wird aber offenbar eine Herausforderung bleiben. Nach Einschätzung der Gewerkschaften ist das kein Wunder. "Der Verdienst in der Gebäudereiniger-Branche ist nicht gerade so, dass ihn die Leute ohne Weiteres annehmen", sagt Halles Regionalchef des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Johannes Krause. Darüber hinaus sei das Angebot an Bewerbern wegen der guten Konjunktur und wegen des sinkenden Anteils jüngerer Menschen an der Bevölkerung begrenzt. "Die Arbeitslosen sind in der vorteilhaften Lage, bei den Jobangeboten auswählen zu können", so Krause. Und Wolfgang Bullin von der Industriegewerkschaft Bau weist auf die Vielzahl von Teilzeitkräften in der Branche hin: "Die sind dazu gezwungen, ihr Einkommen mit Sozialleistungen aufzustocken."

Schlechter Lohn? Diesen Vorwurf weist Matthias Stenzel, der Obermeister der Landesinnung des Gebäudereinigerhandwerks, entschieden zurück. "Wir haben einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag. Die Löhne sind zu Jahresanfang um 4,7 Prozent angehoben worden", sagt der 51-jährige Chef der in Salzmünde ansässigen Firma "Saubermann". Die Entlohnung sei nicht zuletzt wegen des vorgeschriebenen Mindestlohns "ordentlich", eingearbeitete Kräfte können gar mit 8,88 Euro pro Stunde rechnen. Auf den ebenfalls von Gewerkschaften geäußerten Vorwurf, die Firmen würden Lohnsteigerungen durch Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichem Reinigungspensum ausgleichen, reagiert Stenzel so: "Das sind Einzelfälle." Für seine Innung mit ihren 47 Mitgliedsbetrieben (rund 5 600 Beschäftigte) treffe dies nicht zu.

Stenzel räumt allerdings auch ein, dass es Jahr für Jahr schwerer werde, Mitarbeiter zu gewinnen. Dabei wachse die Branche ungebremst. Pro Jahr nehme die Stellenzahl um fünf bis zehn Prozent zu. Deshalb findet er auch das Ausbildungsangebot des Tüv "toll". Seine Firma sei Partnerbetrieb des Tüv und habe zugesichert, einen Absolventen einzustellen. "Dass für den Kurs kaum Teilnehmer gefunden werden, verwundert mich", so Stenzel.

Ein Kenner der Arbeitslosenverwaltung, der nicht genannt werden will, bezweifelt unterdessen, dass der Kurs und ein Job als Gebäudereiniger für Langzeitarbeitslose, die Sozialleistungen ("Hartz IV") beziehen, überhaupt verlockend ist: Der zu erwartende Lohn sei kaum höher als das Arbeitslosengeld. Außerdem seien die allermeisten arbeitswilligen und -fähigen Hartz IV-Betroffenen durch die große Mitarbeiternachfrage längst mit Jobs versorgt.

Interessenten an dem Kurs können sich beim Tüv Rheinland melden: 0345 / 5665814 (in der Zeit von 7.30 bis 16 Uhr).