Halle Halle: Eingesperrt im Call-Center
Halle (Saale)/MZ. - Am Mittwochmittag: schnell noch eine Online-Überweisung an das Finanzamt. Aber: Es geht nicht. Das Tageslimit ist überschritten, heißt es auf der Internetseite. Also Anruf bei der Sparkasse. Die müssten das ja regeln können. Doch statt eines Call-Center-Mitarbeiters meldet sich am anderen Ende der Hotline überraschend eine Kundenberaterin. "Sie wollen das Tageslimit erhöhen? Rufen Sie bitte in zehn Minuten noch mal an. Viel los heute." Von Streik kein Wort. Beim zweiten Versuch dudelt nur die Musik der Warteschleife - eine gefühlte Ewigkeit. Irgendwann legte der Kunde entnervt auf - und meldete sich stattdessen beim Heißen Draht der MZ.
Viel los? Im Call-Center offenbar nicht. Dafür aber vor dem Gebäude der Sparkassen-Tochter S-Direkt-Marketing GmbH in der Grenzstraße: Dort versammelten sich nämlich nach Angaben der Gewerkschaft Verdi etwa 350 Mitarbeiter, um gegen die Bedingungen an ihren Arbeitsplätzen zu demonstrieren. Und für mehr Lohn.
Die Streiks dauern nun schon mehr als drei Wochen. In dieser Zeit verhandelten Gewerkschaftsvertreter und Geschäftsführung des Unternehmens über einen neuen Tarifvertrag. Zwar näherten sich beide Seiten nach übereinstimmenden Angaben in weiten Teilen an. Knackpunkt aber war auch während der jüngsten Verhandlung am Montag das Geld.
Am Mittwochnachmittag nun rief Verdi zur Urabstimmung. Und fast die Hälfte der demonstrierenden Belegschaft, immerhin 350 Mitarbeiter, sprach sich für einen unbefristeten Streik aus. Auch Carola Tag aus Halle.
Seit 15 Jahren arbeitet die gelernte EDV-Facharbeiterin schon für die Sparkassen-Tochter. In dieser Zeit habe sie eine einzige Gehaltserhöhung bekommen - das waren damals noch 100 Mark. Heute geht die 49-Jährige mit etwa 1 300 Euro brutto nach Hause. Kino, Restaurant, ein tolles Abendkleid? "Kann ich mir nicht leisten. Wir wollen schließlich einmal im Jahr in den Urlaub fahren", sagt sie. Ihr Mann arbeitet ebenfalls im Call-Center.
Nicht nur der finanzielle Aspekt spielt für die Hallenserin eine Rolle. Schlechte Luft herrsche im Großraumbüro, die Mitarbeiter müssten in kleinen Kabinen hocken: "Wir sitzen da wie die Hühner auf der Stange", findet Carola Tag, die auch für die vielen jungen Mitarbeiter kämpft: "Wir machen doch alle die gleiche Arbeit."
Zwischen die vielen gelben Leibchen mit Verdi-Aufschrift mischt sich auch ein Schwerverbrecher mit einer eisernen Kugel am Fuß. Sven Schmidt hat sich als Sträfling verkleidet. Er fühlt sich eingesperrt mit den Bedingungen am Arbeitsplatz. Er ist seit eineinhalb Jahren im Unternehmen - befristet. Im Oktober läuft sein Vertrag aus. Er hofft trotzdem, danach unbefristet angestellt zu werden.