Halle Halle: Blutiger Krieg der Banden eskalierte
Halle (Saale)/MZ. - Sie kannten sich schon länger. Schlägereien gab es bereits öfter zwischen der Gruppe der Iraker und Syrer, die sich im Neustädter Cliquentreff "Schnatterinchen" unter dem Namen "Brüder ohne Heimat" gesammelt haben, und der Gruppe der Spätaussiedler aus Russland, die sich "Big Neustadt Crew" nannte. Und es galt unter ihnen der Kodex: Keine Polizei. Nicht gegeneinander aussagen. Verletzte haben Pech gehabt.
Anders wurde dies erst, als der Krieg der beiden Banden am 5. September letzten Jahres eskalierte: Die Massenschlägerei mit 43 Beteiligten am Friedemann-Bach-Platz war eine der brutalsten Auseinandersetzungen in Halle. Ein 23-jähriger Iraker wurde so schwer mit einem Messerstich verletzt, dass sein Leben nur durch mehrere Operationen gerettet werden konnte - dennoch wird er vermutlich nie wieder ganz gesund werden. Aus diesem Grund brachen die Mitglieder der arabischen Gruppe ihr selbstverordnetes Schweigen und zeigten die Russland-Deutschen an.
Vier Monate lang verhandelte das Landgericht Halle, um die Hintergründe zu ermitteln. Mehr als 50 Zeugen wurden gehört. Nun scheint sich ein Bild - wie oben gezeichnet - zusammengesetzt zu haben. Denn am nächsten Verhandlungstag, dem 7. Juli, soll plädiert und ein Urteil gesprochen werden.
Doch für die Richter wird es nicht leicht werden: Während die Staatsanwaltschaft überzeugt ist, dass der wegen versuchten Totschlags angeklagte 23-jährige Spätaussiedler Roman G. die gefährlichen Messerstiche ausgeführt hat, hat der Prozess für Verteidiger Wolfgang Müller nur eine Gewissheit gebracht. "Es ist offen, wer der Täter war", so der Rechtsanwalt. Die Verhandlung habe wegen widersprüchlicher Zeugenaussagen nicht zweifelsfrei nachgewiesen, dass Roman G. zugestochen habe - weshalb Müller einen Freispruch beantragen will. Roman G. hatte in der Verhandlung eingeräumt, dass er an der Schlägerei beteiligt war - aber kein Messer eingesetzt habe. "Ohne Zweifel hat sich Mohanned I. schwerste Verletzungen zugezogen", betont Rechtsanwalt Müller. "Doch jeder kämpfte mit jedem, die unterschiedlichsten Werkzeuge und Gegenstände wurden dabei eingesetzt."
Genau das Gegenteil hat der Prozess für Staatsanwalt Hendrik Weber ergeben: "Drei Zeugen haben den Angeklagten beim Zustechen gesehen, zwei Zeugen bestätigten, dass sie ihn mit einem Messer in der Hand beobachtet haben." Auch das Motiv scheint für Weber aus der Entwicklung der Massenschlägerei heraus klar: Ein leiblicher Bruder von Roman G. sei mit zwei anderen aus dem Turm-Club geflogen, weil sie dort Ärger gemacht hatten. Draußen vor der Tür traf das Trio auf eine zehnköpfige Gruppe der "Brüder ohne Heimat". Aus einer Beleidigung entwickelte sich schnell eine Schlägerei, bei der G.s Bruder Zähne ausgeschlagen wurden. Per Handy soll er den Angeklagten aus dem Turm zu Hilfe gerufen haben. "Es ging um die Familienehre", so Weber.
Immer mehr Sympathisanten und Schaulustige kamen schließlich an den Tatort, der sich an den Friedemann-Bach-Platz verlagerte. Am Ende prügelten sich rund 40 Männer; auch Pflastersteine, Gullydeckel und Flaschen flogen dabei.