Halle Halle: Apothekerin wegen Millionenbetrugs vor Gericht

Halle (Saale)/MZ. - Schwarzer Rolli, dunkler Blazer, die Lippen fest zusammengepresst, so nickt die Angeklagte Christel F. nach zwei Stunden zur Richterbank. „Mmmh“, sagt sie und Richter Helmut Tormöhlen fragt sicherheitshalber noch einmal nach. „Heißt das ja?“ Die 74-jährige Apothekerin nickt nun entschiedener. „Ja“, sagt sie.
Es sind die ersten Worte, die die wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz und Betruges angeklagte Pharmazeutin am ersten Tag eines Prozesses sagt, in dem es um krebskranke Menschen, neuartige Spezialmedikamente, den europäischen Arzneimittelmarkt und den Vorwurf geht, F. habe einen Wirkstoff zur Behandlung von Nierenkrebs jahrelang am deutschen Arzneimittelgroßhandel vorbei bei Firmen in Großbritannien und Dänemark eingekauft, um ihre Gewinnmarge zu erhöhen.
Neuartige Anwendung
Zwar hatte es sich bei dem Medikament Proleukin, das die Angeklagte in ihrer Apotheke für eine neuartige Inhalations-Anwendung herstellen ließ, um das von einem Schweizer Konzern stammende Original gehandelt, so die Staatsanwaltschaft. Die entsprechenden Chargen, die die Inhaberin einer über die Stadtgrenzen hinaus bekannten halleschen Traditionsapotheke über einen Zwischenhändler mit Sitz auf der britischen Steueroase Isle of Man einführte, seien allerdings nicht zum Vertrieb in Deutschland zugelassen gewesen, sondern waren für Griechenland bestimmt. Christel F., in Köthen geboren, in Leipzig ausgebildet und seit mehr als 40 Jahren Leiterin der Apotheke, die sie nach dem Ende der DDR als Eigentümerin von der Treuhand übernahm, habe den günstiger bezogenen Wirkstoff ohne deutsche Zulassung in mehr als 130 Fällen bei den Krankenkassen zu regulären Preisen abgerechnet, so die Anklage. Zwischen 2003 und 2007 habe sie so mehrere hunderttausend Euro Gewinn gemacht.
Die kleingewachsene Frau mit dem blonden Haar, die heute drei Apotheken in der Region führt, hört der Verlesung der Anklageschrift regungslos zu. Für den Fall einer Verurteilung drohen ihr eigentlich bis zu 15 Jahre Haft - doch Christel F. weiß schon, dass es so schlimm nicht kommen wird. Bereits im Vorfeld haben Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung Gespräche geführt. Ziel sei es gewesen, eine Verständigung herbeizuführen, mit der das Verfahren verkürzt werden könne, erklärt der Richter Tormöhlen. Im Gegenzug gegen ein umfassendes Geständnis und eine vollständige Erstattung des Schadens gegenüber den Krankenkassen könne die Angeklagte mit einer Bewährungsstrafe rechnen. Zudem werde es nur eine Auflage geben, 200.000 Euro zusätzlich an die Staatskasse zu zahlen.
Christel F. ist sofort einverstanden. In den letzten Monaten hat sie bereits mehr als 700.000 Euro an Krankenkassen zurückgezahlt. Sie habe nie aus Profitgier gehandelt, betont sie in einer persönlichen Erklärung, die ihr Anwalt verliest. Vielmehr sei die von ihr gemeinsam mit einem Spezialisten aus Dessau entwickelte Darreichungsform des Krebsmittels so aufwendig zu verabreichen gewesen, dass sie geglaubt habe, die dabei entstehenden höheren Kosten durch den günstigeren Einkauf ausgleichen zu können. „Mir war nicht klar, dass das Medikament seine deutsche Zulassung verliert, wenn es aus dem Ausland eingeführt wird.“
Überprüfung der Probe
Als ein Vertreter der Firma von der Isle of Man ihr Lieferungen des Original-Wirkstoffes zu reduzierten Preisen angeboten habe, habe sie eine Probe beim Schweizer Hersteller überprüfen lassen. „Mir war die Wirkung wichtig, nicht die Herkunft.“ Nachdem von dort die Bestätigung kam, dass das Medikament „absolut identisch“ mit den in Deutschland gehandelten sei, „habe ich eventuelle Bedenken in den Hintergrund geschoben“. Heute bedauere sie ihr Verhalten und sei bereit, den Schaden über die geleisteten Zahlungen hinaus wiedergutzumachen. Der Prozess wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt, das Urteil soll dann am Donnerstag folgen.