Halle Halle: Älteste Fachwerkhäuser werden saniert
HAlle/MZ. - Wolfgang Möller hat die Absicht, am 13. August eine Mauer einzureißen. Die steht entlang der Mittelstraße, gleich neben einem der ältesten und wertvollsten Fachwerk-Ensembles Halles, den baufälligen Nachbar-Häusern Nummer 17 und 18. "Die Mauer verschwindet, damit wir über die Zufahrt an die Häuser und an die Stall- und Nebengebäude hinten herankommen, die jetzt weggerissen werden", sagt der Prokurist des Bauvereins Halle-Leuna.
Es ist also soweit: Eins der interessantesten Denkmal-Bauprojekte der vergangenen Jahre beginnt. Die seit Jahrzehnten verfallende Fachwerkzeile ist eine offene Wunde in der Innenstadt. Stadtgeschichte in reinster, aber maroder Form: In der Nummer 18 etwa soll im Jahr 1710 Halles Räuber-Legende Christian Andreas Käsebier geboren worden sein. Der wertvollste, der spätgotische Teil des Hauses Nummer 17 ist eine Bohlenstube aus dem Jahr 1526.
Ein Gang durch die Häuser, Höfe und Anbauten, auch hinaus auf den Hof macht die Schwierigkeiten dieser Sanierung offenbar: Überall in den windschiefen Balken kleben Vermessungsmarken, haben Gutachter alte Bemalungsreste freigelegt. In der Bohlenstube indes scheint durch Ritzen das Tageslicht, der Lehm ist aus der dahinter liegenden Wand herausgespült. "Man wird das gesamte Haus, die Fachwerk-Konstruktion hydraulisch anheben müssen, um überall heranzukommen", sagt Möller.
Prächtig ist auch eine barocke Stuckdecke in der Nummer 18. Die Decke aus Jahr 1711 ist zentimeterdick mit Farbe zugeschmiert, aber darunter gut erhalten: Sie wird restauriert. Genau wie die erhaltene Bemalung eines Alkovens jener Tage, in dem früher das Bett stand. Wer wollte bestreiten, dass hier der Räuber Käsebier schlief?
Vor fast vier Jahren bereits hat der Bauverein Halle-Leuna die marode Häuserzeile ersteigert. Für damals 131 000 Euro. Genau gegenüber ist zu sehen, was passiert, wenn ein seelenloser Neubau ein früheres Fachwerkhaus verdrängt. Das will - und muss - die Bauverein Denkmal GmbH, eine Tochter des Bauvereins, anders machen. Ein schwieriges Wohnungsbauprojekt: Bislang waren alle - Vorbesitzer und auch private Initiativen - gescheitert.
Damit die Rettung der Fachwerkhäuser wirtschaftlich ist, muss der Bauverein allerdings auch abreißen und neu bauen. Deshalb wurden die beiden brachliegenden Nachbargrundstücke 16 und 19 / 20 von der Stadt gekauft. Die Lücken werden nun zugebaut, im Hof zudem zwei kubische Einzelhäuser hingestellt. Insgesamt sollen auf dem Grundstück zwischen Mittelstraße und dem Park der Zahnklinik 25 Wohnungen in Neu- und Altbau entstehen. Rund 3,5 Millionen Euro soll das ehrgeizige Projekt kosten. Die Stadt gibt Städtebaufördermittel in Höhe von 812 000 Euro weiter. Das sollte allerdings schon letztes Jahr geschehen. Weil die Kommune aber keinen genehmigten Haushalt hatte, wurden die Sanierungsmittel gestrichen. Das Projekt lag auf Eis.
Doch der Wirtschaftlichkeit wird auch Erhaltenswertes geopfert. So weicht dem Neubau auf Grundstück Nummer 16 im hinteren Teil ein bemerkenswertes Stall- und Wirtschaftsgebäude, erbaut 1896.
Schon seit dem 19. Jahrhundert residierten Fuhrunternehmen in der Mittelstraße. "Im Erdgeschoss standen die Kutschen, später Autos. Über eine Rampe erreichten die Pferde die Ställe im ersten Stock, ganz oben wurden Stroh und Vorräte gelagert", hat Wolfgang Möller in einer Veröffentlichung des Arbeitskreises Innenstadt gelesen, der wie auch ein Mittelstraße-Verein für die Rettung des historischen Straßenzugs kämpfte. Eine Winde, um die Strohballen nach oben zu ziehen, zeugt noch von der Vergangenheit. All das wird in den nächsten Wochen irgendwann verschwunden sein. Wann genau, steht noch nicht fest: "Vier Quadratmeter Grundstück, ganz isoliert, auf dem das Gebäude steht, gehören noch anderen Besitzern."
Abgerissen wird aber ab 13. August ein weiteres Stall- und späteres Garagengebäude, gegenüber, auf dem Grundstück Nummer 18. Dort müssen auch Tanks zurückgebaut werden, die einem Fuhrunternehmen und seinen Taxis dienten. Und abgerissen werden ferner die beiden Seitenflügel der Nummer 18 neben der Toreinfahrt, über der "1665" als Jahreszahl "eingebeilt" steht. Die kleinen Seitenflügel seien baulich nicht zu retten, sagt Möller. Die Treppe werde allerdings ausgebaut und gerettet.
Noch in diesem Jahr sollen die beiden Fachwerk-Ruinen "rohbaufertig" sein, das heißt, Tragekonstruktion und Grundmauern sind statisch sicher und die Gebäude winterfest. 2014, so das Ziel, sollen die ersten Mieter und Wohnungseigentümer in die ungewöhnliche innerstädtische neue, alte Wohnlage einziehen.