Vision oder Luftschloss Gratis-Schülerticket und City-Tag Ist kostenloses Bahnfahren in Halle bezahlbar?

Halle (Saale) - Mit einer bunten Straßenbahn werben Halle, Merseburg, Schkopau, Leuna und Bad Dürrenberg ab sofort gemeinsam für Ausflugsziele in der Region. Gleichwohl wird nicht nur im Saalekreis mit Spannung beobachtet, was da in Sachen Nahverkehr gerade in Halle passiert. Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) schlägt die Einführung eines Schülertickets ab 2020 vor.
30.000 Mädchen und Jungen sollen Tram und Busse ganzährig nutzen dürfen, ohne dafür zu zahlen. Die SPD legt nach und will für alle Bevölkerungsgruppen ab 2020 einen City-Tag einführen. Jeden Samstag soll die Beförderung dann generell kostenlos sein. Addiert man beide Positionen zusammen, müsste Halle wohl jährlich Mehrkosten von bis zu zehn Millionen Euro zusätzlich stemmen. Am 6. November befasst sich der Planungsausschuss damit.
Idee für kostenlosen Nahverkehr: Müsste Halle den MDV mit ins Boot holen?
„Die Mobilität verändert sich. Damit der Nahverkehr attraktiver wird, müssen wir Anreize schaffen“, sagt der OB. Bei den Grünen stößt der Vorschlag derart auf Gegenliebe, dass die Fraktion einen Änderungsantrag präsentieren will. „Wir wollen, dass das Schülerticket schon 2019 eingeführt wird. Dann müssten die Kosten natürlich in den neuen Haushalt gleich eingearbeitet werden“, meint Stadträtin Melanie Ranft zur MZ.
Halles Nachbarn äußern sich zurückhaltend. „Solche Alleingänge bringen den Mitteldeutschen Verkehrsverbund durcheinander, in dem wir zusammenarbeiten. Ideen wie in Halle sind nicht schlecht, allerdings müsste man sie mit den Partnern besprechen. Wir brauchen im MDV eine abgestimmte Lösung“, sagt Lothar Riese, Chef der Personennahverkehrsgesellschaft (PNVG), die den ÖPNV im südlichen Saalekreis vertraglich bedient.
Kostenloser Nahverkehr in Halle?: Das sagt das Ministerium zu den Plänen
Während der MDV zu den Plänen in Halle „noch keine detaillierten Äußerungen treffen kann“, wie es aus der Pressestelle heißt, verweist das Verkehrsministerium in Magdeburg auf das ÖPNV-Gesetz. „Eine Prämisse ist, dass sich der öffentliche Personennahverkehr möglichst aus Fahrgeldeinnahmen speisen soll“, erklärt ein Sprecher. Unabhängig davon bezuschusse man den ÖPNV in Halle derzeit mit 11,75 Millionen Euro. „Da die Stadt aber Aufgabenträger des ÖPNV im Stadtgebiet ist, kann sie selbst entscheiden, wofür sie das Geld einsetzt. Das schließt tarifliche Regelungen ein“, heißt es aus dem Ministerium.
Dort weist man zudem auf einen Test in Köthen zum kostenlosen Nahverkehr hin. „Es mussten zusätzliche Busse bereitgestellt werden, um die Fahrgastzahlen aufzunehmen. Die Kosten stiegen. Auch deshalb wurde der Versuch nach einem Jahr abgebrochen“, so der Sprecher.
In Magdeburg hält man es zudem für denkbar, dass andere bedürftige Gruppen auf die Gleichberechtigung pochen und ebenfalls eine kostenlose Beförderung einfordern könnten.
So viel würde Halle der kostenlose Nahverkehr kosten
Die Kölner Verkehrswissenschaftlerin Judith Kurte hat ausgerechnet, was ein kostenloser Nahverkehr in Halle bedeuten würde. Legt man die Erkenntnisse aus der Fachliteratur zugrunde, könnte Halle das Fahrgastaufkommen von rund 53 auf 70 Millionen Passagieren im Jahr steigern, glaubt sie. „Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sind wichtige Faktoren, damit die Leute vom Auto in Busse oder Bahnen umsteigen.“ Das zu erwartende Defizit für den städtischen Haushalt bezifferte sie bei einem komplett kostenfreien ÖPNV mit 90 Millionen Euro. Pro Jahr.
In Halles Fahrgastbeirat spricht man von einem Schnellschuss. „Wir sind für jede Verbesserung dankbar. Aber es muss bezahlbar sein“, sagt der Vorsitzende Hans-Joachim Berkes. Halle habe sich schon einmal mit einem kostenlosen Nahverkehr befasst. Die Havag bräuchte mehr Personal und auch mehr Fahrzeuge. „Finanzierbar war das nicht.“ Man wäre daher schon zufrieden, wenn es den 10-Minuten-Takt wieder verbindlich gebe. (mz)