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Giebichenstein Giebichenstein: Liebe zum Zerbrechlichen

Von MARGIT BOECKH 11.09.2009, 15:55

Halle/MZ. - Denn dass schon in den 30er Jahren Innovationen für die Gestaltung des kostbaren Materials aus Halle kamen, daran ist nicht zu rütteln. "Giebichenstein hat auf dem Gebiet der Keramik die führende Stellung in Deutschland", rühmte die Presse.

Avantgardistische Design-Ideen aus der Provinz machten Furore. "Die sind vor allem verbunden mit den Namen Marguerite Friedlaender und Gerhard Marcks", betont Hubert Kittel. "Beide haben frischen Wind für Ideen und Formen eingebracht." Der Bildhauer Marcks setzte die auch als Direktor um, Friedlaender als Leiterin der Porzellanklasse. Was alsbald auch hauptstädtische Blicke nach Halle lenkte. Denn Impulse für neue Formen konnte die Berliner Staatliche Porzellanmanufaktur dringend gebrauchen. Prompt beauftragte deren Direktor Freiherr von Pechmann die beiden mit der Gestaltung neuer Serienporzellane.

"Das", meint Hubert Kittel, seit 1994 Chef der Fachrichtung Keramik / Glasdesign an der Burg, "wurde zu einer Erfolgsstory". Gerhard Marcks etwa entwarf ein Service und mehrere kleine Sets. Neben anderen Teilen kamen von Marguerite Friedlaender die Entwürfe für eine Vasengruppe "Halle" und das Mokkaservice "Halle'sche Form". Schlichte Produkte mit deutlicher Bauhaus- Anmutung und klaren, die Zeiten überdauernden Formen. Mit dem königsblauen Zepter, das für KPM als einer der Luxusmarken für feinstes Porzellan "Made in Germany" steht, tragen sie den Namen Halle in die Welt.

Neben diesen Klassikern werden sich die originellen Stücke der heutigen "Erben" jener legendären "Porzellanklasse" in der großen Ausstellung "Einfachheit im Vielfachen" zu behaupten haben, die jetzt in Berlin an das 90-jährige Jubiläum des Bauhauses erinnert.

Die Zusammenarbeit zwischen Halle und Berlin wurde gleichzeitig im Rahmen eines Semesterprojektes wiederbelebt. Was sich die Studenten dabei einfallen ließen, ist für den kleinen Hunger oder den Genuss zwischendurch gedacht.

Da werden Pralinés königlich delikat auf kleinen Sockeln präsentiert. Ein Dessert-Set verblüfft durch Puddingförmchen mit austauschbaren Böden und Gläsern. Die kleinen Kostbarkeiten sind eine Verbeugung vor dem großen Meister Marcks, der 1930 für KPM ein Konfektservice und einen Satz Rohkostschalen entworfen hatte.

"Die erneute Zusammenarbeit mit KPM erinnert auch an jene erfolgreichen Zeiten, als das, was am Bauhaus in Weimar erträumt worden war, sehr schnell Wirklichkeit wurde", freut sich der Porzellanprofessor und verweist auf ein Projekt mit der Porzellanfabrik Kahla in Thüringen. Kittel weiß sich einig mit Marguerite Friedlaender, die nach ihrer Vertreibung durch die Nazis in den USA eine Berühmtheit wurde und in der Erinnerung resümierte: "Als das Bauhaus krachte, wurde Burg Giebichenstein für uns eine eigentliche Besserung der Ideen des Bauhauses. Das Unfruchtbare, das so sichtbar war, als das Bauhaus die Technik als das Ideal des Handwerks proklamierte, verschwand in Halle, wir konnten arbeiten, ohne fortwährend intellektuelle Begriffe zu kauen."

Eine große Tradition, die Kittel als Verpflichtung sieht, "die Kompetenz in Porzellan, die wir in Halle in besonderer Weise hochhalten, mit zukunftsweisenden Ideen weiterzuführen." Wobei die Studenten von Beginn an wählen können zwischen einer Keramikklasse im Fachbereich Kunst oder der Klasse von Professor Kittel im Fachbereich Design, wo man die serielle Gestaltung bei Glas, Keramik und Porzellan betont. Ein nach seiner Meinung in Europa einmaliges Konzept, das Anziehungskraft hat: Rund die Hälfte der Bewerber kommen aus nichteuropäischen Staaten, insbesondere aus China, Korea und Japan, Ländern mit einer uralten keramischen Kultur.

Doch hat nicht längst ein Sammelsurium von Henkelbechern und Müslischalen das Komplettservice aus der Küche in die untersten Tiefen geduldiger Schränke verwiesen? Kann die zerbrechliche Kunst im Kontext knallharter Marktbedingungen überhaupt noch standhalten? Gerade die Wandlung in der Tischkultur sei ja die Herausforderung, meint der Professor. Gerade reist Kittel wieder in Sachen Porzellan durch Europa und sucht nach den innovativsten Ideen. Die sollen im nächsten Jahr Bestandteil einer Ausstellung in Selb sein, die Kittel als Kurator mitbetreut. Die Schau heißt "Königstraum und Massenware" mit dem Untertitel "300 Jahre europäisches Porzellan - eine Erfolgsgeschichte". Zu der auch Halle beigetragen hat - die Porzellanstadt.

"Einfachheit im Vielfachen" ist bis 16. Mai 2010 in Berlin zu sehen.

Öffnungszeiten: Täglich 10 bis 18 Uhr.