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Stadtteil Giebichenstein Giebichenstein: Das bunte Stadtviertel in Halle

Von Silvia Zöller 09.05.2017, 04:00
Gunnar Franke liebt seine Burgstraße, an der auch sein Laden liegt.
Gunnar Franke liebt seine Burgstraße, an der auch sein Laden liegt. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Es war in den 80er Jahren, als Gunnar Franke das Giebichenstein-Viertel für sich entdeckte. Bis heute ist er dem Stadtteil nicht nur treu geblieben, sondern auch sowas wie die Nachrichtenbörse vor Ort: Als Inhaber von „Gunnar, der Laden an sich“ in der Burgstraße weiß er, was los ist. Wer hat ein Kind bekommen? Wer ist neu im Viertel? Wer liegt krank im Bett? In dem kleinen Laden, in dem es alles von der Zeitung über einen frischen Kaffee bis zur Flasche Wein gibt, trifft man sich und plaudert.

Der Stadtteil ist nach Burg Giebichenstein benannt, die sich über die Saale erhebt.

Genau das ist es, was der 54-Jährige so liebt an „seinem“ Viertel: „Es ist eine dörfliche Struktur.“ Schließlich wurde das Viertel rund um Burgstraße, Seebener Straße und Große Brunnenstraße erst im April 1900 nach Halle eingemeindet worden. Irgendwie ist das in den Köpfen der Giebichensteiner hängen geblieben. Nachbarschaft wird hier groß geschrieben, stellt Gunnar Franke immer wieder fest und er nennt als ein Beispiel den Steilen Berg, eine enge Straße: „Da kennt jeder jeden.“

Stadtteil Giebichenstein: Zwischen Goethe und Eichendorff

Nicht anders sei es bei den zahlreichen Künstlern die hier wohnen, man kennt sich. Alles ist locker, international durch die Burgstudenten und unkompliziert - sieht man mal von den fehlenden Parkplätzen und Fahrradwegen ab. „Schon immer haben hier Arm und Reich eng beieinander gewohnt. Der Bankier Lehmann auf der einen Straßenseite, Arbeiter in den Häusern auf der anderen Straßenseite“, weiß Franke. Das Riveufer, das viele Grün im Viertel - damals wie heute ein riesen Pluspunkt im Giebichenstein.

Schließlich, so erzählt Franke weiter, hatten auch Goethe und Eichendorff das schon zu schätzen gewusst. Obwohl es damals noch ein bisschen romantischer auf dem Giebichenstein war - denn bis in 19. Jahrhundert gab es auf den Klausbergen sogar Weinstöcke. Die Reblaus machte dem ganzen den Garaus, alle Reben gingen ein und mussten abgeholzt werden. Ob diese sonnige Lage vielleicht noch mal Weinanbaugebiet werden könnte? „Die Südwestlage ist jedenfalls dafür geeignet“, meint Franke.

Giebichenstein-Viertel in Halle: Schalmeienkapelle von NSDAP und KPD gebucht

Geschichte interessiert den 54-Jährigen schon aus eigener Sache: Seine Vorfahren mütterlicherseits sind seit 1532 in Halle ansässig und hatten eine Bäckerei im heutigen Graseweghaus betrieben. Und so hat er einige Geschichten aus dem historischen Giebichenstein auf Lager, die ein Schlaglicht auf das bunte Viertel geben. Wie etwa die von der Schalmeienkapelle, die es hier in den 20er Jahren gab: „Die wurde sowohl von der NSDAP als auch von der KPD gebucht.

Am 1. Mai spielte die Kapelle auf dem Hinweg linke Lieder, auf dem Rückweg rechte.“ Der typisch Giebichensteiner Hintergrund: Der damalige Kassenwart der NSDAP wohnte im selben Haus wie der der KPD.

Giebichenstein: Feierabendbier im Exil

Ein bisschen anders war es auch zu DDR-Zeiten in dem Viertel, wo sich illegale Künstlergalerien eingerichtet hatten und es besetzte Häuser gab. Franke erinnert sich an Silvesterpartys, für die das gesamte Wohnzimmer-Mobiliar auf die Straße geholt wurde, um ganz gemütlich zu feiern: „Voll schräg.“

Heute sei alles zwar nicht mehr ganz so schräg, aber eben doch anders. Angefangen von den bunten Läden, die sich hier angesiedelt haben von Aurelie Bastians Koch- und Backatelier in der Großen Brunnenstraße bis hin zum „200 g-Artcycling“-Laden in der Burgstraße, wo witzige Gebrauchskunst aus alten Dingen hergestellt wird. Auch eine echte Wohngebietskneipe gibt es hier noch, das „Exil“ ist der klassische Treffpunkt der Giebichensteiner zum Feierabendbier.

Auch Peter Maffay wohnt ab und zu im Giebichenstein-Viertel in Halle

Wer auf Live-Musik steht, hat im Objekt 5 gleich um die Ecke in der Seebener Straße wohl eine der besten Adressen der Stadt. Und auch der wohl bekannteste Neu-Hallenser wohnt im Giebichenstein-Viertel: Peter Maffay. „Den sieht man hier öfter beim Spazierengehen“, weiß Gunnar Franke.

Das etwas andere Ambiente hat jedoch auch eine weitere Seite, die nicht jeder begrüßt: „Parkplätze verschwinden, weil sie bebaut werden.“ Die Nachfrage ist groß und so entstehen in den letzten Baulücken des Viertels neue Wohnhäuser. Damit werde dann vermutlich die Gentrifizierung des Viertels noch mehr vorangetrieben, befürchtet Franke. Natürlich sieht er auch die Ecken und Kanten des Giebichensteins, die viele bemängeln, wie etwa die starke Verkehrsbelastung der Burgstraße und Brunnenstraße. „Aber die Menschen hier leben damit, sie arrangieren sich und sind grundsätzlich zufrieden“, sagt er. Wer sollte es besser wissen als Gunnar Franke? (mz)

Bestes Sonntagswetter? Da ging es auch schon früher  in den Zoo. Ab 1958 gab es erst einen Eingang an der Reilstraße.
Bestes Sonntagswetter? Da ging es auch schon früher  in den Zoo. Ab 1958 gab es erst einen Eingang an der Reilstraße.
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