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Fleischerei Hündorf in Halle Fleischerei Hündorf in Halle: Musische Ader in dritter Generation

Von Silvia Zöller 02.11.2014, 18:10
Knacker werden von Hubert Hündorf in Handarbeit hergestellt.
Knacker werden von Hubert Hündorf in Handarbeit hergestellt. Günter Bauer Lizenz

Halle (Saale) - Ganz streng genommen ist jede Wurst der Fleischerei Hündorf wohl auch ein Kunstwerk. Jede sieht ein wenig anders aus. „Die Wurst wird bei uns noch per Hand gefüllt“, erklärt Hubert Hündorf. Bunte Kordeln in unterschiedlichen Farben kennzeichnen, ob in der Knackermasse auch Senfkörner oder Knoblauch verarbeitet wurden - damit am Ende niemand durcheinander kommt.

Doch in dem Handwerksbetrieb, der am 1. Oktober 1938 von Willy Hündorf in der Georgstraße gegründet wurde, dreht sich auch sonst viel um Kunst. „Mein Vater, der wie mein Opa Willy hieß, war ein sehr musischer Mensch“, erzählt Hubert Hündorf, der in der dritten Generation die Fleischerei leitet. Vater Willy spielte nicht nur leidenschaftlich Klavier, sondern sang auch im Fleischerchor mit. „Und er ging so oft in die Oper, dass viele dachten, er wäre der Intendant“, erinnert sich der Sohn. Da der Fleischerchor mangels Nachwuchses 2013 aufgelöst wurde, kann Hubert Hündorf hier nicht die Nachfolge seines Vaters antreten. Aber: Das Gesangsensemble „Cantus firmus“ probt regelmäßig bei Hubert Hündorf - als ehemaliges Mitglied des Stadtsingechores verstärkt der 48-Jährige die Vokalgruppe mit seiner Baritonstimme.

Im gesamten Bezirk der Handwerkskam- mer Halle gibt es derzeit 14 098 Handwerksbetriebe mit insgesamt 73 500 Beschäftigten. Im Durchschnitt hat jeder Betrieb 4,8 Mitarbeiter. Rund 4 000 Auszubildende lernen in diesen Betrieben. Seit Jahren bleiben diese Zahlen relativ konstant - bis auf die der Lehrlinge. So gab es 2009 noch knapp 8 000 Auszubildende im Kammerbezirk, doppelt so viele wie heute. „Die Nachwuchssituation bleibt für das Handwerk schwierig“, heißt es in der aktuellen Konjunkturumfrage der Handwerkskammer. (szö)

Großmutter schlägt sich durch

Die Geschichte der Kunst des Wurstmachens in der Georgstraße begann 1938, als die Familie Hündorf von Zöberitz bei Peißen nach Halle kam. Durch den Verkauf einer Gastwirtschaft, die im Familienbesitz der mütterlichen Linie war, konnten sie das Haus in der Georgstraße erwerben, berichtet Hündorf aus der Familiengeschichte. „Eine Schwester meiner Oma lebte alleine in Halle und war hier sehr unglücklich. Deshalb der Umzug an die Saale“, erklärt er.

Doch Willy Hündorf wurde kurz darauf als Soldat in den Krieg eingezogen. Irgendwie schaffte es die Großmutter, sich mit zwei kleinen Kindern und der Fleischerei durchzuschlagen. Früher wie heute wurde nicht selbst geschlachtet bei Hündorfs, vielmehr wurde direkt in den Räumen hinter der Verkaufstheke Fleisch und Wurst aus geschlachteter Ware verarbeitet. „Schlackwurst oder Bierschinken werden auch heute noch nach den Rezepten von damals hergestellt“, sagt Hubert Hündorf.

Auf Bio umgestellt

Allerdings hat sich an den Zutaten etwas Grundlegendes geändert: 2001 hat Hündorf komplett auf Bio umgestellt. Rinder, Schweine, Enten, Gänse, Lamm und Hähnchen kommen aus Bio-Betrieben aus Sachsen-Anhalt oder den angrenzenden Ländern. Salz aus der halleschen Saline und Kräuter der Saison werden verarbeitet. Und das Konzept ging auf. „Wir haben heute Kunden aus Leipzig, Eisleben oder Sangerhausen, die wegen des Biofleisches und der Wurst nach Halle kommen“, freut sich Hubert Hündorf. Der Kundenkreis sei aber auch altersmäßig breit gestreut: von der 17-Jährigen bis zum 90-Jährigen sei alles dabei.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich die Traditionsfleischerei gegen die Supermarktkonkurrenz behauptet.

Natürlich, das räumt Hündorf ein, hat das neue Konzept für die Traditionsfleischerei auch etwas mit der wachsenden Konkurrenz durch Supermärkte zu tun. Standen die Kunden zu DDR-Zeiten vor allem freitags um fünf Uhr schon am Laden an, um etwas Besonderes für das Wochenende einkaufen zu können, so sind diese Zeiten längst vorbei. Deshalb überzeugte Hubert Hündorf seinen Vater, auf Bio umzustellen - obwohl Willy Hündorf damals noch der Chef war. Erst 2003 übernahm Hubert, der 1983 als Lehrling in den elterlichen Betrieb eingestiegen ist, den Laden. Zwar hat auch sein Bruder Wilko den Fleischerberuf erlernt, aber sich irgendwann neu orientiert. Er betreibt in Teutschenthal die Bio-Eis-Diele „Stingray“. Bruder Jörg ist dagegen praktisch jeden Tag in der Fleischerei präsent - oder vielmehr sein Produkt: der Georg-Senf.

Handwerksbetriebe mit Familientradition aus Halle und Umgebung stellt die Mitteldeutsche Zeitung in einer neuen losen Serie vor. Im Mittelpunkt stehen Familienunternehmen, die seit mehreren Generationen vor Ort sind. Bisher ist kein Archiv bekannt, in dem Familienbetriebe recherchierbar sind. Daher freuen wir uns auf Hinweise zu alten Handwerksbetrieben in der Region: [email protected] (szö)

Kleider für den Fleischerball

Beim Blättern im Familienalbum fallen Hubert Hündorf immer wieder neue Geschichten ein. Ein Bild, wohl von 1969, zeigt die drei Brüder quasi als angehende Fleischer im Laden, der heute noch mit denselben Kacheln verziert ist. „Wir wohnten ja im Haus gleich über dem Laden“, sagt er. Ein anderes Foto zeigt Willy Hündorf und Arno Dietzel - schon damals Inhaber der gleichnamigen Fleischerei - an einem Tisch sitzend. Denn das kam öfters bei Hündorfs vor: Schließlich sind die beiden Familien eng verwandt. „Meine Mutter Waltraud ist eine geborene Dietzel“, erklärt Hubert Hündorf. Weitere Bilder zeigen die opulenten Platten, die in den 70er Jahren zum Fleischerball kredenzt wurden - damals ließen sich die Damen sogar extra für diesen Anlass Kleider schneidern.

Die richtige Entscheidung

Hätte sich Hubert Hündorf eigentlich auch für einen anderen Beruf entscheiden können? „Es gab für mich nie die Pflicht, das Geschäft zu übernehmen“, sagt er. Seine Eltern haben ihm die Wahl gelassen. Aber er hat sich dafür entschieden, dass auch 76 Jahre nach der Betriebsgründung Wurst in der Georgstraße gemacht wird. (mz)