Entdeckungen auf Stadtgottesacker
Halle/MZ. - Weniger die Baugeschichte des ab 1557 nach italienischem Vorbild erbauten Renaissance-Friedhofs, als Geschichten und Geschichtchen rund um die hier begrabenen Persönlichkeiten standen im Mittelpunkt des unterhaltsamen Rundgangs.
Von August Herrmann Francke über Christian Thomasius und Ludwig Wucherer bis hin zu Carl Adolf
Riebeck - sie alle fanden auf dem einzigen heute noch vollständig erhaltenen Campo Santo nördlich der Alpen ihre letzte Ruhestätte. So zum Beispiel in einer der prunkvoll ausgestalteten Grüfte Felicitas von Selmenitz, die mit ihrer Familie zu den ersten Lutheranern in Halle gehörte. "Sie lernte als Erwachsene lesen und schreiben, und zwar nur aus dem Grund, damit sie die Lutherbibel lesen konnte", erzählte Hans-Joachim Gunkel.
Das Grab von Pumpenfabrikant Ernst Weise erzählt ebenfalls Bände: Eine auffällige Büste des Industriellen fällt jedem Besucher sofort auf. Wie auch ein anderes bildhauerisches Kunstwerk, das Weise finanziert hat - Kuh und Pferd an der Giebichensteinbrücke. Ungewöhnliches konnte der Gästeführer auch von Johann Reinhold Forster berichten, der im 18. Jahrhundert mit James Cook die Welt umsegelt hatte. Gunkel: "Er profilierte den botanischen Garten, der in Halle als Arzneigarten angelegt war, mit Pflanzen aus Übersee neu."
Wer auf dem denkmalgeschützten Stadtgottesacker beerdigt werden will, muss schon ein bisschen tiefer in die Tasche greifen, erläuterte der Stadtführer. Denn nach einem Beschluss ist der Friedhof eigentlich seit 1960 geschlossen, weil voll belegt. Nach der Wende habe man Feuerbestattungen in einigen Grüften zugelassen. So wurden die sterblichen Überreste des halleschen Star-Kabarettisten Horst Sonntag vor einigen Jahren hier in einer Urne beigesetzt. "Nur wer mindestens die letzten 25 Jahre seinen Wohnsitz in Halle hatte oder außerordentliche Verdienste errungen hat, kann einen Antrag an die Stadt auf Beerdigung im Stadtgottesacker stellen", sagt Gunkel.
In den letzten Jahren ist die Anlage dank einer Sechs-Millionen-Spende von Marianne Witte saniert worden, deren Vater Professor an der Uni Halle war und 1963 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Über die Sanierung hätte Ursula Odau eigentlich gern mehr erfahren: "Ich kenne den Stadtgottesacker nur als Ruine." Dennoch sei das neue Angebot eine gute Sache. Begeistert waren dagegen Kathleen und Steffen Marold: "Es war sehr interessant, wir haben uns noch nie intensiv damit beschäftigt", so die beiden Hallenser.