Ende einer Ära Ende einer Ära: Warum die Geschichte der Radeweller Papierfabrik so bewegend ist

Halle (Saale) - Eine eigene Feuerwehr, einen eigenen Gleisanschluss und bis zu 575 Mitarbeiter: Die Radeweller Papierfabrik hatte große Bedeutung. Von 1898 bis 1946 wurden hier jährlich bis zu 25.000 Tonnen Papier produziert - dann ging die Ära zu Ende. „1946 erfolgte die Demontage der Maschinen als Reparationsleistung an die Sowjetunion“ hat der Ammendorfer Hobbyhistoriker Erich Gadde recherchiert.
Historiker kennt Fakten der Papierfabrik aus Erlebnissen der eigenen Familie
Heute liegen weite Teile des 15.000 Quadratmeter großen Fabrikareals brach. Ein Metallaufbereitungsunternehmen nutzt einen kleinen Teil, der Rest soll in den kommenden Jahren revitalisiert werden und von Start-ups und Künstlern genutzt werden.
So könnte vielleicht auch die bewegte Geschichte der Fabrik wieder mehr ins Bewusstsein der Hallenser kommen. Erich Gadde erinnert sich noch, wie er als Kind in den ehemaligen Klärteichen der Fabrik unterhalb der Kirche St. Wenzel gespielt hat. „Heute sind diese sechs Klärteiche zugewachsen“, so der 78-Jährige.
Viele Fakten rund um die Papierfabrik kennt Gadde aus den Erlebnissen aus seiner eigenen Familie. Sein Vater arbeitete als Lokführer bei den Riebeckschen Montanwerken und fuhr täglich Kohlezüge zur Entladung in die Kohlebunker der Papierfabrik. 50 Braunkohlewaggons wurden täglich zur Produktion benötigt, ebenso 25.000 Kubikmeter Wasser. „Die Zahl der Beschäftigten lag bei 370 bis 575 mit einer Produktion von 25.000 Tonnen Papier“, so Gadde.
Standort aufgrund der guten Lage zum Braunkohletagebau
Begonnen hatte die Geschichte des Unternehmens am 29. September 1897, als ein Konsortium die Fabrik mit einem Stammkapital von einer Million Reichsmark gründet. „Mitfinanziert wurde die Gründung der Papierfabrik auch von dem halleschen Kommerzienrat Heinrich Lehmann“, weiß Erich Gadde, der auch Chroniken und andere Quellen für seine Recherchen verwendet hat.
Zeitzeugen berichteten ihm zudem von ihren Vätern und Großvätern, die im Werk beschäftigt waren. Die Fotos stammen aus dem Privatarchiv von Jürgen Lange von den Ammendorfer Heimatfreunden.
Der Standort der Fabrik, die übrigens damals im Saalkreis lag und erst 1950 eingemeindet wurde, ist nach Meinung von Erich Gadde aufgrund seiner außerordentlich guten Lage ausgewählt worden: Die Gleise der Montanwerke konnten mitgenutzt werden, der Braunkohletagebau „von der Heydt“ lag direkt nebenan, die Wasserversorgung war durch die Elsterwasserpumpstation gesichert.
Mit der Demontage des Werks endete die Industriegeschichte auf dem Gelände
„Schon im Spätherbst 1898 gingen zwei Papiermaschinen in Betrieb“, berichtet Gadde. 1905 und 1907 werden zwei weitere Papiermaschinen in Betrieb genommen, so dass die Produktionspalette bald 24 unterschiedliche Sorten Papier vom Druckpapier über Tapetenpapier bis hin zu Postkartenkarton oder Zeitungsdruckpapier umfasste. „Ein Drittel der Produktion ging in den Export“, weiß der Hobbyhistoriker.
„Als Reparationsleistungen nach dem ersten Weltkrieg musste auch Papier aus Ammendorf nach Frankreich geliefert werden.“
Mit der Demontage des Werks nach dem Zweiten Weltkrieg endete die Industriegeschichte auf dem Gelände noch nicht. Verschiedene Kombinate siedelten sich hier an, auch eine Berufsschule des Braunkohlewerks.
Erst seit der Wende steht das Areal leer. „Die spannende Industriegeschichte von Ammendorf verfolgt mich“, sagt Erich Gadde. Denn nicht nur sein Vater, sondern auch weitere Familienmitglieder waren in Ammendorfer Werken beschäftigt. (mz)


