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Ehemalige Ruine in Halle Ehemalige Ruine in Halle: Vom besetzten Haus zur Studenten-WG

Von Thomas Schöne 20.02.2015, 05:23
In der Küche des Christlichen Studentenhauses in Halle unterhalten sich Anna Schönfelder (l), Sarah Wettrau und Pauline Starke (r).
In der Küche des Christlichen Studentenhauses in Halle unterhalten sich Anna Schönfelder (l), Sarah Wettrau und Pauline Starke (r). dpa Lizenz

Halle (Saale) - Eigentlich könnte das Haus Am Röderberg 3 in Halle als eine Studenten-Wohngemeinschaft unter vielen angesehen werden. Acht Studenten wohnen hier. Aber das ist nur der äußere Schein. Das „Christliche Studentenhaus“ ist ein deutschlandweit einzigartiges Projekt und blickt mittlerweile auf eine 25-jährige Geschichte zurück.

"Verwirklichung war in der DDR undenkbar"

Im März 1990 besetzen vier Studenten ein leer stehendes Haus in Halle und beginnen mit der Instandsetzung. „Wir hatten diese Idee schon lange, aber die Verwirklichung war in der DDR undenkbar“, erinnert sich Frieder Weigmann, einer der Gründerväter. Die jungen Leute stammen aus dem thüringischen Ort Leinefelde und kennen sich seit der Schulzeit. „Wir engagierten uns zu Hause in der christlichen Jugendarbeit und fanden uns dann in Halle zum Studium wieder“, sagt Weigmann.

Dann kam plötzlich die Wende und eröffnete völlig neue Möglichkeiten. „Wir liefen durch Halle und suchten nach einem geeigneten Haus“, sagt Weigmann, heute Sprecher des Diakonischen Werkes Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland (Halle). Die Wahl fiel auf ein heruntergekommenes Gebäude im Norden der Stadt.

Hier wohnte schon lange niemand mehr. Es war eine jener Immobilien, die wie viele andere in der Stadt scheinbar nur noch auf den Abriss warteten. Das Haus hatte keinen Strom, kein Wasser, keine Fenster, kaum Türen und ein marodes Dach. „Wir vernagelten die Fenster mit Brettern und brachten ein Schloss an der Eingangstür an“, erzählt Weigmann.

Wie es mit der WG weiter ging, erfahren Sie auf Seite 2.

Damals regte die SPD an, leer stehende städtische Häuser für 5000 D-Mark an sanierungswillige Interessenten zu verkaufen. „Darauf setzten wir. Aber die Ämter blockierten uns, die Zeit verging. Von dieser Summe war bald nicht mehr die Rede und schließlich wurden es 75 000 DM, die wir auch nicht hatten. Aber die evangelische Kirche und Spenden halfen uns“, sagt Weigmann.

Heute ist das Haus saniert, und ein Verein regelt die organisatorischen Dinge. „Der Erfolg ist, dass der Wohngemeinschaft sehr viel Freiraum zum Gestalten gelassen wird“, sagt Iris Hinneburg. Sie wohnte von 1999 bis 2001 im Haus. „Für mich war das eine unschätzbare Erfahrung. Hier konnte ich Glauben und Alltag teilen“, sagt Hinneburg. Jetzt ist sie ehrenamtlich als Schatzmeisterin für den „Verein Christliches Studentenhaus Am Röderberg e.V.“ verantwortlich.

Mehr als 100 Menschen wohnten in dem Haus

Seit der ersten Generation haben mehr als 100 Menschen in dem Haus gewohnt. Die ersten Jahre konnten die Studenten über die gesamte Zeit ihres Studiums bleiben. Mitte der 90er Jahre spürte der Verein, dass es nicht gut sei, wenn sich Strukturen verfestigen. Außerdem sollte möglichst vielen jungen Menschen die Möglichkeit geboten werden, in dem Haus zu leben. Jetzt wohnen jeweils acht Studenten zwischen 19 und 26 Jahren maximal drei Jahre im Haus.

Die Nachfrage ist groß. Es gibt seit Jahren mehr Bewerber als Plätze. Dazu trägt wohl auch der günstige Mietpreis von 183 Euro pro Monat bei. „Wer mit uns wohnen möchte, muss keiner Kirche angehören, aber er darf christliches Leben nicht ablehnen“, sagt Pauline Starke. Sie studiert Sozialpädagogik. „Das Besondere: Die Gemeinschaft ist überschaubar. Es gibt Andachten, wir beten zusammen und es gibt viele Gespräche.“ Diese offenen Gespräche sind der Mittelpunkt im Haus.

Starke sieht es als ihre persönliche Erfahrung an, dass sie im Zusammenleben mit anderen ihre eigen Grenzen ausloten kann. „Die Themen sind unterschiedlich: aktuelle gesellschaftliche Probleme, wie Pegida, Alltagsprobleme und Gespräche mit Gästen“, sagt die Studentin. Und es kommen immer Gäste. Für sie gibt es zwei extra Zimmer. Derzeit wohnt eine Studentin aus Syrien als Gast im Haus.

Eine weitere Besonderheit: Die erste Generation hat mit sehr viel Enthusiasmus das Gebäude wieder in einen bewohnbaren Zustand gebracht. „Wir haben vielleicht mehr gebaut als studiert“, sagt Weigmann. Von heutigen Studenten wird das nicht mehr verlangt. Aber der Verein freut sich, wenn sie sich am Erhalt des Hauses beteiligen.

In der Küche des Christlichen Studentenhauses in Halle sitzt Sarah Wettrau (vorn).
In der Küche des Christlichen Studentenhauses in Halle sitzt Sarah Wettrau (vorn).
dpa Lizenz