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Dumme Fragen im Stadtmuseum Dumme Fragen im Stadtmuseum: Ausstellung widmet sich Menschen mit Beeinträchtigung

Von Denny Kleindienst 24.08.2020, 11:45
Falko Neuhäusel ist taub, seine „Muttersprache“ ist die Gebärdensprache. In der bedeuten die hochgezogenen Augenbrauen, er hat eine Frage.
Falko Neuhäusel ist taub, seine „Muttersprache“ ist die Gebärdensprache. In der bedeuten die hochgezogenen Augenbrauen, er hat eine Frage. Silvio Kison

Halle (Saale) - Falko Neuhäusel ist von Geburt an taub. Was nicht heiße, dass er behindert sei, wie er betont. Zudem sei er ein Gebärdensprachler, weshalb er auch erklärt: „Ich muss nicht hören.“

Mit dummen Fragen widmet sich  Sonderausstellung Menschen mit Beeinträchtigung 

Beherrscht man selbst keine Gebärdensprache, braucht man einen Dolmetscher, um direkt mit dem 60-jährigen Hallenser, der in Reußen lebt, zu sprechen. Falko Neuhäusel taucht in der Sonderausstellung „Geschichten, die fehlen“ im Stadtmuseum auf. Dort werden Menschen mit Beeinträchtigung aus Halle vorgestellt. Menschen, die taub oder blind oder Rollstuhlfahrer sind.

Die Ausstellung blickt auch in die Vergangenheit und zeigt etwa, wie Menschen mit seelischen und geistigen Beeinträchtigungen zu DDR-Zeiten betreut wurden. Außerdem werden Besucher eingeladen, „dumme Fragen“ zu stellen. Das nicht ganz wörtlich gemeinte Angebot soll Gäste animieren, Fragen zum Leben mit Beeinträchtigung, die ihnen auf den Nägeln brennen, aufzuschreiben. Es sind schon einige zusammen gekommen.

Musik spüren, statt hören

Etwa: Haben blinde Menschen Angst im Dunkeln? Wie sieht man nichts? Wie hört man nichts? Gehen taube Menschen auch feiern und tanzen? Die Frage, wie taube Menschen Musik hören, sei eine typische Frage von Hörenden, erklärt Falko Neuhäusel, zumal sie seiner Ansicht nach zeigt, wie wichtig den Hörenden die Musik ist. „Ich höre keine Musik, aber ich spüre sie.“

Neuhäusel erklärt, er war auch tanzen, als er jung war. Wichtig sei, dass ein guter Bass vorhanden ist. Er ist sportlich aktiv und spielt Fußball im Verein SG Reußen, wo er der einzige Taube ist. Noch eine Frage: Können taube Menschen Lippen lesen? Zum Teil sei das möglich, weiß Neuhäusel, allerdings nicht zu hundert Prozent. Er verweist auf Schätzungen, dass 30 bis 40 Prozent von dem, was jemand sagt, abzusehen sind.

Ausstellung soll Menschen „aufrütteln“

Die Sonderausstellung im Stadtmuseum findet Falko Neuhäusel „sehr wertvoll“, da sie helfe, falsche Bilder gerade auch vom Leben tauber Menschen zu korrigieren. Und weil sie „aufrüttelt“. Denn auch in Deutschland gebe es noch viele Barrieren. Neuhäusel hat sehr bedauert, dass etwa bei den täglichen und live übertragenen Pressekonferenzen der Stadt Halle zur Coronalage kein Gebärdensprachdolmetscher zu sehen war. Wenn stattdessen Untertitel eingeblendet werden, sei das für ihn eben nicht das Gleiche.

Ihm sei es wichtig, dass andere wissen, dass die Deutsche Gebärdensprache seine Muttersprache ist. Sie ist zugleich sein Beruf, denn er arbeitet als Gebärdensprachdozent an der Hochschule Magdeburg-Stendal. „Die Gebärdensprache folgt nicht der deutschen Grammatik“, erklärt er. Deutsch sei für taube Menschen deshalb eine Fremdsprache.

Taube Kultur: Blickkontakt und Antippen

Neuhäusel selbst ist „bilingual“ aufgewachsen. „Meine Eltern sind beide hörend.“ Sein älterer Bruder ist ebenfalls taub. Neuhäusel ist verheiratet und hat zwei Kinder. Auch seine Frau ist taub, genau wie sein Sohn. Die Tochter ist hörend. Sein Wunsch ist, dass mehr Menschen die Gebärdensprache erlernen. Dass sie als Fremdsprache in Schulen angeboten wird.

Denn dadurch, glaubt Neuhäusel, würden viele auch erkennen, dass es eine taube Kultur gibt. Dazu zählt er, dass taube Menschen Blickkontakt halten. „Es ist ungewohnt für Hörende, sich ständig in die Augen zu schauen.“ Ebenso wie die Tatsache, dass man einen Tauben nicht rufen kann, sondern antippen sollte. Es gibt auch Witze in der tauben Kultur. In der Regel, so Neuhäusel, würden dabei aber die Hörenden ein bisschen veräppelt.

Perspektivwechsel durch dumme Fragen

Fragt man ihn, ob er sich als tauber Mensch als Außenseiter fühlt, erklärt er, das sei ein harter Begriff. „Das passt nicht.“ Es gibt aber Situationen, in denen er sich zurecht finden muss. Zum Beispiel beim Fußball, wenn er nicht versteht, was gerufen wird.

Elke Arnold, die Projektleiterin der „Geschichten, die fehlen“, sagt: „Die Fragen zeigen, dass die Besucher die Perspektive wechseln.“ Und genau darum geht es in der Ausstellung, die noch bis Ende August läuft. Zur Finissage am Samstag, 30. August, wird es eine „Dumme-Fragen-Runde“ geben, bei der Menschen mit und ohne Beeinträchtigung bei Tischgesprächen zusammenkommen. Um vorherige Anmeldung beim Museum wird gebeten. (mz)