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Drama um türkische Familie

Von Kornelia Privenau 21.01.2005, 17:26

Halle/MZ. - Während Frau Gökser schützend die Arme um ihr Kind legte, brach der Familienvater auf der Straße zusammen. Familie Gökser, seit 13 Jahren in Deutschland lebend, wurde zwangsgeräumt.

Die Nachricht verbreitete sich in der Firma des Mannes wie ein Lauffeuer. Gökser ist angestellt bei der Elmas Bau GmbH, einem halleschen Bauunternehmen, das bundesweit Aufträge erledigt. Geschäftsführerin Heike Bierling hat sofort einen Anwalt eingeschaltet. "In unserem Betrieb arbeiten viele türkische Fachleute. Ilhan Gökser ist einer von ihnen. Der Mann ist zuverlässig und fleißig. Wir konnten nicht begreifen, was da mit der Familie passiert", sagte die 37-jährige Bauingenieurin, die seit 13 Jahren in Halle lebt und arbeitet.

Rechtsanwalt Raik Wollenbecker versuchte am Freitag vergeblich zu retten, was noch zu retten war: Für eine einstweilige Verfügung bei Gericht, um die Zwangsräumung zu stoppen, war es am Freitag "viel zu spät", wie der Jurist sagte. Der Vermieter, die Halle-Neustädter Wohnungsgenossenschaft, habe wegen einer Schuld von zwei Monatsmieten, einer Summe von etwa 1 300 Euro, die Räumung juristisch auf den Weg gebracht. Wollenbecker: "Ich wundere mich über die große Eile, die hier seit dem 3. November 2004 an den Tag gelegt wurde." Und es sei offenbar niemand auf die Idee gekommen, dass Ilhan Gökser den Inhalt der Papiere gar nicht verstehen kann.

Diese Auffassung teilten auch jene Mitarbeiter von Elmas, die einen Teil der Habseligkeiten der Familie auf ein Fahrzeug luden, um sie "bei der Firma einzulagern". "Er hat nie irgendetwas von Briefen erzählt, die er nicht verstanden hat", hieß es. Bei türkischen Kollegen wird das Ehepaar Gökser nun erst einmal das Wochenende verbringen, wie Heike Bierling versicherte.

Bei der Halle-Neustädter Wohnungsgenossenschaft war am Freitag niemand für eine Stellungnahme erreichbar. Auf Anfrage der MZ erklärte der Direktor des Verbandes der Wohnungswirtschaft Sachsen-Anhalt, Jost Riecker: "Statistische Erhebungen gibt es zwar nicht. Aber solche Vorfälle dürften selten sein. Ich kann nicht verstehen, dass das so schnell gegangen ist."

Das fünfstöckige Wohnhaus in der Neustädter Andersen-Straße 6 liegt direkt an der Magistrale. Aufs Klingeln öffnete sich dort am Freitagvormittag keine Wohnungstür. Türkische Nachbarn der Familie im Nebenhaus nahmen die junge Mutter und ihr Baby auf, damit sie sich kurz aufwärmen konnten. Währenddessen versorgte im Rettungswagen ein Notarzt Ilhan Gökser. Ins Krankenhaus wollte er um keinen Preis, sondern bei Frau und Kind bleiben. "Am Montag werde ich Widerspruch einlegen", so Anwalt Wollenbecker, "da werden einige Fragen zu klären sein." Sein Ziel ist die Rückkehr der Familie in die Wohnung.