Deutsches Kino in Frankreich Deutsches Kino in Frankreich: Hallenserin organisiert Filmfestival

Nantes/Halle (Saale) - „Wo findet man im französischen Textprogramm den Zeichenzähler?“ - fragt Yasmin Lüdke ihre französische Büronachbarin Catherine. Mit ihr gemeinsam schreibt sie gerade eine Broschüre und sammelt Namen, Zusammenfassung und Rezensionen. Das Telefon klingelt, kurze Unruhe im Dachgeschoss der Rue Du Guesclin. Der Regisseur Johannes Naber hat sein Kommen abgesagt. Yasmin kontaktiert den Produzenten, vielleicht kann der Drehbuchautor von „Zeit der Kannibalen“, Stefan Weigl, stattdessen das Gespräch mit den Filmzuschauern in Frankreich führen.
"Paris war wunderschön"
Alltag für die 22-jährige Studentin aus Halle. Seit September lebt sie in der Bretagne, in Nantes, und organisiert ein deutsches Filmfestival. „Dabei kannte ich mich mit dem deutschen Film anfangs nur wenig aus.“ Yasmin studiert etwas mit einem komplizierten Namen. Sie studiert Medien- und Kommunikationswissenschaft und interkulturelle Europa- und Amerikastudien an der Martin-Luther-Universität. Sprachliche Schwerpunkte sind Spanisch und natürlich Französisch - ihrer Lieblingssprache. Ein halbes Jahr hat sie schon in Paris gelebt - wieder in Halle war ihr schnell klar, dass sie noch mal zurück möchte. „Paris war wunderschön, aber das war nicht Frankreich. Ich wollte mehr von Frankreich sehen.“
Auch Filmliebhaberin war Yasmin schon immer. Mit den Klassikern der Nouvelle Vague aus den 60ern verbesserte sie ihr Sprachgefühl. Jetzt macht sie sich in Frankreich auf die Suche nach deutscher Kultur, und wundert sich, wie offen die Franzosen für den deutschen Film sind. Seit 17 Jahren gibt es die Filmfestspiele in der Stadt. Die Reihe gehört zum „Univercine“, einer Vereinigung, die jährlich ein britisches, ein italienisches, seit neustem ein russisches und das deutsche Filmfestspiel organisiert.
Rund 20 Geschichten à l'allemande flimmern dann jährlich im Programmkino „Katorza“ in Nantes auf der Leinwand; dieses Jahr vom 12. bis 18. November. Mit rund 3.500 Besuchern im Jahr ist es die drittgrößte deutsche Kinoveranstaltung in Frankreich. In der Verantwortung steht seit sieben Jahren Jan Rhein, der ein Zimmer neben Yasmin sitzt. „Das Festival spricht zwei Zielgruppen an. Da sind zum einen die Filmliebhaber, die manch deutsches Schmuckstück im französischen Kino vermissen, andererseits soll ein deutsch-affines Publikum erreicht werden. Wir repräsentieren hier ja auch die deutsche Kultur und Sprache.“
Viele Filme werden im Originalton mit Untertiteln gezeigt, die es bei einigen Filmen aber nicht gibt. Dann wird eine Übersetzung organisiert. „Ein Film wird jeweils von Studenten der Universität hier in Nantes übersetzt“, erzählt Yasmin. In diesem Jahr ist das die Situationskomödie „Familienfieber“.
"Til Schweiger kennt hier keiner"
Die Auswahl reicht vom delikaten Underdog bis zum deutschen Mainstream, auch wenn es hier eine Einschränkung gibt. Das deutsche Massenkino hat es beim Nachbarn schwer. „Til Schweiger kennt hier keiner“, haben die beiden festgestellt. Wesentlich erfolgreicher und auch direkt als deutscher Film identifiziert wird hingegen die historische Sparte. „Goodbye Lenin“ oder „Der Untergang“. Filme zu DDR und Nationalsozialismus ziehen mehr Zuschauer an als „Keinohrhasen“ oder „Fack ju Göthe“.
Außerdem wird der deutsche Filmvertrieb Arthaus von echten Kinokennern geschätzt, „Berliner Schule“ ist noch immer ein Begriff. Das klassische Autorenkino von Fassbinder und Wenders kennen im Geburtsland des Kinos wohl mehr Abiturienten als in Deutschland. „Der spanische und italienische Film haben es trotzdem leichter. Da ist einfach mehr Nähe zur Kultur und Sprache.“
Der Favorit des Festivals von 2014 ist programmiert: „Love Steakes“, die Tragikomödie des 33-jährigen „Mumblecore“-Regisseurs Jakob Lass, gilt als Ausnahmeerscheinung in der deutschen Kinolandschaft.
Zur Vorstellung wird der Filmemacher vielleicht selbst kommen. Da ist Yasmin Lüdke besonders gespannt drauf: „Ein Beispiel dafür, wie viel Potenzial im jungen deutschen Film steckt und wie wenig die Lästereien über schlechte Autoren und öde Fernsehsubvention im deutschen Kino heute noch stimmen.“ Insgesamt, meint Yasmin, habe sich wohl das Bild der Deutschen in Frankreich in den letzten Jahren gewandelt. Letztes Wochenende hat sie wieder deutsche Kultur entdeckt. In einem Park an der Loire - Sonntagnachmittag, lauer Wind, Sonne. Die Franzosen haben eine Wiese mit elektronisch frisierter Beatmusik beschallt. Es wurde getrunken, verrückt getanzt, geraucht, jemand jonglierte mit zwei Weinflaschen. „Das nennen sie hier dann die Berliner Feierkultur.“ Da lacht die Studentin. Wenn sie wieder zurück nach Halle kommt, will sie nur noch ihre Bachelor-Arbeit schreiben.
Als Yasmin sich vor einigen Monaten bei Jan Rhein beworben hatte, schickte sie ein Foto mit. Sie in Halle in der Leipziger Straße mit Moritz Bleibtreu und Jürgen Vogel. Das Bild stammt aus dem Sommer 2013, als die Schauspieler in Mitteldeutschland den Thriller „Stereo“ drehten und Yasmin den beiden zufällig begegnete.
Auch Bleibtreu hatte kurz nach seiner Schulzeit eineinhalb Jahre in Frankreich verbracht. Die originelle Idee kam in Nantes gut an, den mäßigen Thriller will man den Franzosen aber nicht zumuten - denn: „Da haben wir Besseres zu bieten.“ (MZ)
