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Der Schafscherer aus Brachstedt Der Schafscherer aus Brachstedt: Nackt in dreieinhalb Minuten

Von Claudia Crodel 25.06.2020, 15:00
Die geschorene Wolle wird verpackt.
Die geschorene Wolle wird verpackt. Silvio Kison

Halle (Saale) - Die Schafe des Naturschutzbundes (Nabu) Halle/Saalekreis sind derzeit im ehemaligen Steinbruchkessel am Dautzsch unterwegs. Ihre Aufgaben dort: Fressen, fressen, fressen, denn sie sind die Landschaftspfleger des dortigen Trockenrasengebietes. Der Mittwoch war für die Tiere ein ganz besonderer Tag. Sie wurden von ihrer üppigen Wollpracht befreit. Dazu war Schafscherer Arno Hoyer aus Brachstedt zum Gelände gekommen.

Zunächst wurden die betroffenen 70 Schafe eingepfercht. Dann holte sich Hoyer Tier um Tier aus der dicht beieinanderstehenden Gruppe und setzte seinen Scher-Apparat an. In Windeseile wird die Wolle vom Körper der Schafe getrennt. „Im Schnitt dauert es dreieinhalb Minuten, bis ich mit einen Tier fertig bin“, erklärt Hoyer. Zum Scheren dient ihm ein modernes elektrisches Gerät. „Früher war das ein russisches Modell, aber es war auch elektrisch.“

Jede Menge Erfahrung im Scherberuf

Der 62-Jährige hat jede Menge Erfahrung im Scherberuf. „Nach der Schule habe ich Schäfer gelernt, auf der Schäferschule in Wettin und im Lehr- und Versuchsgut Mößlitz“, erzählt er. Damals habe es in der Umgebung von Halle in jedem Dorf Schäfer gegeben und auch Schafscherer. „Mich hat das Scheren schon als Kind beeindruckt.

Wenn der Schafscherer zu uns ins Dorf kam, bin ich immer hin, habe zugeschaut und war fasziniert“, blickt er in die Vergangenheit. Also habe er mit 17 oder 18 Jahren selbst das Scheren ausprobiert und ist dabei geblieben, jahrelang nebenberuflich zu seiner Tätigkeit als Schäfer.

Scheren von der Nordsee bis nach Baden-Württemberg

Dann kam die Wende und nach und nach wurden die Schafherden aufgelöst. Zehn Jahre lang war Hoyer auf dem Bau tätig. Schließlich habe es ihn aber doch wieder zu den Schafen gezogen. Er machte sich selbstständig und ist nun als hauptberuflicher Schafscherer unterwegs, in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, in Brandenburg, Niedersachsen und auch in Hessen.

„Bis vor fünf oder sechs Jahren habe ich in ganz Deutschland geschoren, praktisch von der Nordsee bis nach Baden-Württemberg“, sagt er. Er habe viel gesehen und erlebt. Doch damals war er oft viele Wochen am Stück von zu Hause fort, kam bisweilen erst nach einem Vierteljahr zurück. Das sei auf Dauer auch nicht gut. So beschränke er sich heute auf einen Umkreis von rund 250 Kilometern von Halle.

„Die meisten Wollschaf-Rassen brauchen jedes Jahr eine Schur"

Sein Beruf ist mittlerweile ein sehr seltener geworden. In ganz Deutschland gibt es nur ein paar Dutzend Schafscherer. Deren Zahl in Sachsen-Anhalt könne man an einer Hand abzählen. Für das Schaf-Projekt des Nabu Halle-Saalekreis ist Hoyer bereits seit Jahren tätig. Die Arbeit auf dem Dautzsch an der frischen Luft macht ihm Spaß. Üblicherweise gehe es nämlich zum Scheren in den Stall.

„Die meisten Wollschaf-Rassen brauchen jedes Jahr eine Schur. Nur die Waliser und die Tiroler Bergschafe müssen aufgrund der hohen Wollmenge zwei Mal jährlich geschoren werden“, erläutert der Experte. Wichtig sei, dass man behutsam und mit Tierliebe ans Scheren gehe. Man müsse immer darauf achten, dass man das Tier nicht verletzt. Sollte es trotzdem zu kleinen Wunden kommen, müssen die desinfiziert werden. Das übernimmt Susanne Graul vom Schaf-Projekt.

„Heute gibt es andere Textilien und die Wolle ist nicht mehr viel wert."

Dass man die Schafe überhaupt scheren muss, liege daran, dass die Menschen über die Jahrhunderte hinweg die Tiere so gezüchtet hätten, dass sie viel Wolle lieferten. Überall wurde Wolle gebraucht. „Heute gibt es andere Textilien und die Wolle ist nicht mehr viel wert. Man kann froh sein, wenn man sie überhaupt noch los wird“, sagt Hoyer. Susanne Graul bestätigt das. Mehrere große Säcke mit Wolle stehen nach der Schur auf der Wiese. Doch wohin nun damit? Susanne Graul hofft, dass sich ein paar Leute melden, die Wolle haben wollen, sei es für den Garten oder auch zum Filzen oder Spinnen.

Die frisch geschorenen Schafe stehen noch gut zwei Wochen auf dem Dautzsch, um dort die Gräser abzufressen. Dann kommen sie zum nächsten Standort. In Halle und Umgebung gebe es viele kleine oder größere Gebiete, wo sie zur Landschaftspflege eingesetzt werden, auf den Saalehängen bei Wettin, in Brachwitz, Landsberg Niemberg, auf dem Kröllwitzer Fuchsberg beispielsweise. (mz)

Arno Hoyer bei der Arbeit: Es dauert ganze dreieinhalb Minuten bis die Wolle ab ist.
Arno Hoyer bei der Arbeit: Es dauert ganze dreieinhalb Minuten bis die Wolle ab ist.
Silvio Kison
Susanne Graul inmitten der geschorenen Tiere
Susanne Graul inmitten der geschorenen Tiere
Silvio Kison
Nach der Schur werden kleine Wunden desinfiziert.
Nach der Schur werden kleine Wunden desinfiziert.
Silvio Kison