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"Der Mond ist aufgegangen" "Der Mond ist aufgegangen": Jeden Abend erklingt ein Lied in der nördlichen Innenstadt

Von Tanja Goldbecher 04.04.2020, 16:00
Die Studierenden des Schlesischen Konvikts in der nördlichen Innenstadt spielen jeden Abend Musik im Garten - die ist weithin hörbar.
Die Studierenden des Schlesischen Konvikts in der nördlichen Innenstadt spielen jeden Abend Musik im Garten - die ist weithin hörbar. Silvio Kison

Halle (Saale) - Die letzten Sonnenstrahlen des Tages fallen in den Garten des Schlesischen Konvikts. Die Luft kühlt sich allmählich ab. Doch Punkt 19 Uhr kommen elf Studierende aus der evangelischen Wohngemeinschaft und versammeln sich mit Gesangbüchern auf der Terrasse. Gemeinsam stimmen sie das Lied „Der Mond ist aufgegangen“ an. Ein Teil der Gruppe singt die bekannten Strophen, die anderen spielen mit Trompeten, Saxofon, Tuba und E-Piano die Melodie.

Seitdem die Evangelische Kirche Mitte März dazu aufgerufen hat, während der Corona-Krise jeden Abend gemeinsam auf Balkonen oder in Gärten zu musizieren, erklingt nun auch in der Emil-Abderhalden-Straße in der nördlichen Innenstadt Musik – ganz zur Freude der Nachbarn. „Ich kann die Musik von meinem Balkon aus hören. Das klingt wirklich schön“, sagt ein Nachbar. Es sei ein fester Programmpunkt in einem sonst eher unstrukturierten Alltag.

„Es ist immer unterschiedlich, wer abends mitsingt oder mitspielt“

„Es ist immer unterschiedlich, wer abends mitsingt oder mitspielt“, sagt Alexander Tiedemann, der als Studieninspektor für die Organisation der Wohngemeinschaft verantwortlich ist. Rund 50 Studierende verschiedener Studiengänge leben dort gemeinsam unter einem Dach. Ursprünglich wurde das Internat für Theologiestudierende gegründet.

Bis zum Jahr 2000 war dort zudem die Kirchenmusikhochschule untergebracht. So kommt es, dass in vielen Zimmern immer noch ein Klavier steht. Hausmusikabende gehören wie die wöchentliche Andacht und gemeinsame Abendessen zum Alltag der Bewohner.

„Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar“

In Zeiten der Pandemie finden zwar keine regelmäßigen Treffen mehr statt. In einer großen Wohngemeinschaft lässt sich der Kontakt mit anderen jedoch nicht komplett vermeiden. Darum haben sich die Studierenden dazu entschlossen, zumindest im Freien gemeinsam zu musizieren und damit der Nachbarschaft jeden Abend zur gleichen Zeit eine Freude zu machen.

Das Abendlied beginnt mit den Worten „Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar“ (Evangelisches Gesangbuch 482) und dürfte vielen Menschen noch aus ihrer eigenen Kindheit bekannt sein. Die Strophen hat Matthias Claudius bereits 1779 gedichtet, die Melodie stammt von Johann Abraham Peter Schulz. Es war eine Zeit, die von Hungerkatastrophen und Infektionskrankheiten geprägt war.

„Das Lied regt zum Nachdenken an und lässt zur Ruhe kommen“

„Das Lied regt zum Nachdenken an und lässt zur Ruhe kommen“, erklärt Studieninspektor Tiedemann. Es thematisiere zugleich die Angst vor Gottes Strafen sowie die Sorgen um den ruhigen Schlaf und um die kranken Nachbarn – ganz ähnlich den Gedanken, die die Menschen auch während der aktuellen Pandemie umtreiben. Viele Existenzen sind auch heute wieder bedroht. „Die Musik soll in schweren Zeiten Hoffnung geben und Vertrauen schenken“, sagt Tiedemann.

Nicht nur die Kirche, sondern auch Musikschulen und Orchester rufen aktuell zum Balkonmusizieren auf – entstanden ist die Idee in Italien, wo die Menschen schon seit Wochen zu Hause bleiben müssen. Auch dort gibt die Musik den Menschen Kraft. (mz)