1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Der hallesche Störer: Der hallesche Störer: Viele antike Bronze-Skulpturen sollen Fälschungen sein

Der hallesche Störer Der hallesche Störer: Viele antike Bronze-Skulpturen sollen Fälschungen sein

Von Michael Falgowski 31.05.2014, 13:05
Dieser Augustus-Kopf ist nicht 2.000, sondern nur rund 20 Jahre alt: Professor Stefan Lehmann von der Universität Halle entlarvt immer mehr Fälschungen.
Dieser Augustus-Kopf ist nicht 2.000, sondern nur rund 20 Jahre alt: Professor Stefan Lehmann von der Universität Halle entlarvt immer mehr Fälschungen. Günter Bauer Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Die Patina schimmert matt grün. In Bronze gegossen, spiegeln die Gesichtszüge des ersten römischen Kaisers Augustus jene stille Einfalt und edle Größe wider, die das klassische Ideal verlangt. Der 33 Zentimeter hohe Kopf von einer Bronzestatue scheint das kleine Studio im Archäologischen Museum der Universität Halle beinahe etwas heller zu machen. Fast 2 000 Jahre alt ist der Kopf angeblich. Immerhin 375 000 Dollar hat sein Besitzer, ein Schweizer Privatsammler, für die seltene Antike bezahlt. Doch deren edler Bronze-Schein trügt: „Der Augustus-Kopf ist eine raffinierte Fälschung, eine moderne Schöpfung. Er ist nur ein paar Jahrzehnte alt“, sagt Professor Stefan Lehmann.

Der Leiter des Archäologischen Museums streicht über die fein gelegten Locken aus Erz des antiken Cäsaren. „Dieser Augustus schaut griesgrämig. Ganz unantik also“, sagt er. Die ungewohnt herabgezogenen Mundwinkel im Zusammenspiel mit der eher klassizistisch anmutenden Frisur und den engstehenden Augen sind dem erfahrenen Klassischen Archäologen sofort „spanisch“ vorgekommen: „Auch diese Bronze ordne ich dem sogenannten ’Spanischen Meister’ zu.“

Geschickte Kunstfälscherwerkstatt

„Spanischer Meister“. So hat der internationale Kunsthandel eine bis heute unerkannte, überaus geschickte Kunstfälscherwerkstatt genannt, die rund drei Jahrzehnte lang die Museen und Privatsammler narrte und Fälschungen höchster Güte in Umlauf brachte.

Wie kein anderer ist der 62-jährige Lehmann dieser Werkstatt auf der Spur. Vor fünf Jahren hatte Lehmann das erste Bronzeporträt als Pseudo-Antike entlarvt und sie dem „Spanier“ zugeordnet. Nun hat Lehmann neue Enthüllungen: „Inzwischen ist die Zahl der hochverdächtigen Köpfe auf mehr als 20 gewachsen.“

Mit seinen Verdächtigungen macht sich Lehmann nicht viele Freunde in Museen und auch nicht unter den Kollegen. Denn manches, was er eine neuzeitliche Fälschung nennt, wurde in Stil- und Typ-Analysen als echt begutachtet. „Selbstverständlich kann es dann rasch persönlich werden. Aber das muss ich in Kauf nehmen. Denn der Wissenschaft entsteht durch solche Falsifikate ein immenser Schaden.“

Die Bronzen, die er inzwischen verdächtigt, Fälschungen zu sein, stehen überall auf der Welt in Sammlungen oder Museen. „Aber keiner der von mir angeschriebenen Besitzer verdächtiger Bildnisse hat reagiert“, sagt Lehmann. Der Drang nach Aufklärung scheint nicht eben groß.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Museen reagieren.

Kein Wunder, für die Auktionshäuser geht es ums Geschäft. Die Museen könnten ihre wertvollsten Stücke verlieren. So hat auch das Antikenmuseum in Basel verschnupft reagiert, als Lehmann ihre berühmte sogenannte Römische Göttin unter Verdacht stellte. Immerhin wurde ein naturwissenschaftliches Gutachten angefertigt. Dabei kam heraus, dass die verwendete Bronze antik war, die Schweizer waren beruhigt. „Das Problem ist nur, dass der ,Spanische Meister’ für seinen Guss tatsächlich antiken Schrott verwendet“, sagt Lehmann. Dies wurde bisher nur vermutet, konnte aber jetzt erstmals in einer chemischen Materialanalyse des Augustus-Kopfes durch Harald Müller vom Institute for Material Science in Mainz nachgewiesen werden.

Echter Glücksfall

Der falsche Augustus, den der Schweizer Sammler nach Halle geschickt hat, ist für Lehmann und die Wissenschaft ein echter Glücksfall. „Zum ersten Mal konnte eine der Fälschung verdächtige Bronze umfassend, auch naturwissenschaftlich, untersucht werden“, sagt Lehmann. Bislang dient den Altertumsforschern vor allem das sogenannte Lockenzählen, die Stilanalyse, um die Echtheit einer antiken Bronzefigur zu bewerten. Ein Verfahren, das viel Raum für den Gelehrtenstreit lässt. Im Fall des Augustus aber gibt es durch chemische Analysen nun unwiderlegbare naturwissenschaftliche Beweise für eine Fälschung. „Es handelt sich definitiv um einen Neuguss. Auch die sogenannte Malachit-Patina, die bislang als unfälschbar galt, stellt nun keinen Echtheitsbeweis mehr dar“, sagt Lehmann.

Dies dürfte den Eigentümer der Büste nicht trösten. 1992 war dem Schweizer die Bronze des Augustus in New York angeboten worden. Über einen Münchener Zwischenhändler hatte er sie gekauft. Nach einem Vortrag Stefan Lehmanns in Zürich über Fälschungen antiker Bronzebildnisse hatte der Sammler den Kopf aus dem Schrank geholt, wohin er ihn verbannt hatte, und ihn dem Museum in Halle für eine Untersuchung zur Verfügung gestellt. Nun hat der Sammler Gewissheit: „Ich wurde betrogen.“

Der Augustus ist kein Einzelfall. Von den acht bekannten Bronzebüsten des Augustus hält Lehmann lediglich fünf für antike Originale. „In Museen und in Privatsammlungen dürften noch einige Pseudo-Antiken stehen.“ Denn seit den 1990er Jahren boomt der Kunsthandel mit antiken metallischen Porträts. Die Anzahl der antiken Objekte ist sehr begrenzt, weltweit sind nur etwa 230 römische Bronzebildnisse bekannt. Die Nachfrage aber ist enorm gewachsen. Eine bei Sotheby’s versteigerte Artemis aus Bronze erzielte 28,6 Millionen Dollar. Solche Preise locken natürlich Fälscher wie den ’Spanischen Meister’ an.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der Fälscher arbeitet.

Der Kriminelle ist inzwischen eine Legende. „Eine begnadete Hand“, schreibt Josef Floren, Verfasser eines Handbuchs zur altgriechischen Plastik, dieser Werkstatt zu. „Mit dem Augustus-Kopf können wir so auch ein Stück weit in die Fälscherwerkstatt des ’spanischen Meisters’ blicken“, sagt Lehmann. Der Fälscher verwende antikes Bronzematerial, um die Gutachter zu täuschen. Die Hälse der Büsten wirken wie von der Statue gewaltsam abgerissen oder geschlagen. Die Produktion einer derartigen „Originalfälschung“ ist aufwendig. „Im Spiegel-Magazin wurden die Kosten auf rund 100 000 Euro beziffert“, sagt Lehmann. Die Fachwelt vermutet die Werkstatt inzwischen weniger in Spanien, mehr in Italien. In Italien gibt es seit der Renaissance eine lange Fälschertradition von Antiken. Aber auch die Balkanregion kommt in Frage. Und der Handel blüht. „Es ist ein methodischer Fehler, einem Kunsthändler zu glauben“, weiß Lehmann. Misstrauisch müsse man immer dann werden, wenn die Herkunft der antiken Bronzen unklar sei, „Aus dem Besitz eines Gentlemans“ etwa.

Gesicherte Herkunft

Das sagt auch Professor Rüdiger Splitter, Leiter der Antikensammlung der Museumslandschaft Hessen Kassel. „In jedem Museum, das Antiken zeigt oder erwirbt, deren Herkunft nicht sicher nachgewiesen ist, können unter diesen Stücken auch Fälschungen zu finden sein.“ Seit den späten 1980er Jahren aber bemühten sich die meisten deutschen Museen, nur solche Antiken zu erwerben, deren Herkunft gesichert sei.

Stefan Lehmann indes bleibt hartnäckig. Mit der Rolle des halleschen Störenfriedes kann er leben. Er ist dem Spanischen Meister auf der Spur. Schließlich würden dessen Bronzen als Referenzobjekte für weitere kunsthistorische Untersuchungen und Vergleiche dienen. „So wird das Bild der Antike verfälscht!“

Die Studioausstellung „Der falsche Augustus“ im „Robertinum“ am halleschen Universitätsplatz ist bis 15. Juli, jeweils donnerstags 15 bis 17 Uhr und auf Anfrage zu sehen. Ebenso am 4. Juli während der Nacht der Wissenschaften.