Den Leuten wird das Läuten erlaubt
Halle/MZ. - Weil in diesem Jahr das Stichwort "Zeit" - angelehnt an des stadtweite kulturelle Themenjahr - der Kirchennacht ihr Gepräge gab, hatten die Mötzlicher einen besonderen Gedanken: den Besuchern nicht nur ihre Kirche, sondern auch die Turmuhr und die Glocken mal ganz von Nahem zu zeigen und sogar die Gelegenheit zu bieten, selbst das Seil in die Hand zu nehmen und die Glocken zum Klingen zu bringen.
Dazu wurde sogar die "Läute-Ordnung" für einige Stunden außer Kraft gesetzt. Denn normalerweise, so erfuhren die zahlreichen Besucher, ist genau geregelt, zu welchen Tageszeiten und aus Anlass welcher besonderer Ereignisse ihr Klang durch den Ort schallt. "Jede Gemeinde legt das selbst fest", sagte Odo Lilienthal, Vorsitzender des Gemeindekirchenrates.
In Mötzlich läuten demnach die Glocken jeweils eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn fünf Minuten und dann nochmal direkt, wenn der Gottesdienst anfängt. Sonnabends wird - je nach Jahreszeit - entweder um 16, 17 oder um 18 Uhr der Sonntag eingeläutet, ansonsten klingen die Glocken bei Hochzeiten, Taufen und Todesfällen. Und natürlich zu Silvester, wenn das neue Jahr beginnt.
Immer, wenn die Mötzlicher Glocken in Schwingungen versetzt werden, geschieht das von Hand, denn es gibt kein elektrisches Läutewerk. Es sind Leute aus dem Dorf, die diese Arbeit untereinander aufteilen und an den dicken Seilen ziehen. Dass dies durchaus kräftezehrend ist, konnten diejenigen feststellen, die am Sonnabend um 21, 22 und 23 Uhr die Glocken in Gang setzten. Zu ihnen gehörten Annelies und Ludwig Schönfeld. "Ganz schön anstrengend", stellte Frau Schönfeld fest, während ihr Mann meinte: "Ich würde am liebsten jeden Tag läuten."
Auch einen Blick ins Uhrwerk der 111 Jahre alten Turmuhr der Firma Weule konnten Interessenten werfen, die den Weg an den Glocken vorbei nach oben in den Turm nicht scheuten. André Conrad und seine Lebensgefährtin Renée Fischer, die sich seit Jahren um den Zeitmesser kümmern, erklärten technische Einzelheiten der Uhr, die noch bis in die 80er Jahre jede Woche einmal von Hand mit einer Kurbel aufgezogen werden musste und erst seitdem elektrisch in Gang gehalten wird. Zu jeder Viertel-, halben, Dreiviertel- und ganzen Stunde verkündet die Turmuhr mit Hammerschlägen an die Glocken den Mötzlichern, was die Stunde geschlagen hat.
Während jeweils einige Kirchennacht-Besucher auf den Turm stiegen, hatten die übrigen Gelegenheit, mit Pfarrerin Silvia Herche und Gemeindegliedern die Kirche zu besichtigen und ins Gespräch zu kommen. Dabei war zu erfahren, dass sowohl Glocken als auch Glockenstuhl dringend der Erneuerung bedürfen. 70 000 Euro sind dafür veranschlagt, deshalb sammelt die Gemeinde Spenden. Am Sonnabend wurde "U(h)riges" gegen einen Obolus für die Glocken angeboten: Kuchen und Torten - letztere gar in Gestalt von Uhren -, gebacken von Frauen aus der Gemeinde, Leckeres vom Grill, Fettschnitten und diverse Getränke offerierte man den Gästen.