DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Zeugen bestätigen grausame Zustände in Poliklinik Mitte

HALLE/MZ - Kahlgeschorene Köpfe, brutale Untersuchungsmethoden, zwangsweise Behandlung mit Spritzen ohne medizinische Notwendigkeit und Erkrankung: Das war die sogenannte "Tripperburg" in der Poliklinik Mitte, in der in den 70er Jahren offenbar menschenverachtende Zustände herrschten. Nach einem MZ-Beitrag über die geheime Abteilung im Dezember haben sich etliche ehemalige Patientinnen bei dem stellvertretenden Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen, Christoph Koch, gemeldet: "Die bisherigen Vermutungen haben sich bestätigt." Die Behörde hat ein Forschungsprojekt zu den unglaublichen Vorgängen in der geschlossenen Abteilung der Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten gestartet. Denn Vermutungen liegen nahe, dass hier die Stasi ihre Finger im Spiel hatte und dort Menschen gezielt gedemütigt und eingeschüchtert werden sollten.
Eine von ihnen war Kerstin Otto. Als 18-Jährige wurde sie 1978 für zehn Wochen in die Poliklinik Mitte zwangseingewiesen, ohne dass sie eine Erkrankung gehabt hätte. Auch sie erhielt die Fieberspritzen, von denen mehrere Frauen und auch ehemalige Schwestern berichten - damit sollte der Ausbruch einer angeblichen Geschlechtskrankheit provoziert werden. "Ich dachte, ich sterbe. Ich bekam heftigen Schüttelfrost und lag zwei Tage wie bewusstlos im Bett", erinnert sich Kerstin Otto.
Verdächtig war sie den Behörden, weil sie mit einer zwei Jahre älteren Frau zusammenwohnte, die als sogenannte "HWG" registriert war - das Kürzel für Personen mit "häufig wechselndem Geschlechtsverkehr". Nachdem sie im Spätsommer 1978 zwei Ladungen zur Vorstellung in der Hautklinik ignoriert hatte, weil sie nicht krank war, wurde sie von der Polizei abgeholt und für zehn Wochen zur Behandlung weggeschlossen, berichtet die heute 52-jährige Hallenserin. Eine Begründung gab ihr niemand.
Noch heute sieht sie den etwa 1,20 mal 1,50 Meter großen Käfig vor sich, der im Eingang der geschlossenen Abteilung stand. "Wer nicht spurt, wird dort eingesperrt", war die klare Ansage. Mit eigenen Augen musste sie auch ansehen, wie einer etwa 15-Jährigen die Haare als Disziplinierungsmaßnahme geschoren wurden. "Aus Angst habe ich nicht rebelliert. Ich wollte nur nach Hause", sagt Kerstin Otto.
Doch sie musste länger bleiben, denn auch nach der Spritze konnte keine Geschlechtskrankheit nachgewiesen werden. Und so folgte eine zweite - angeblich mit positiven Ergebnis. Was die Hallenserin nach wie vor anzweifelt, da sie nie irgendwelche Symptome hatte.
Einschüchterung war nicht nur bei den gefürchteten gynäkologischen Untersuchungen von Schwester "Kurbel-Dora", die mit kantigen Untersuchungsgeräten absichtlich so lange hantiert haben soll, bis die Frauen Schmerzen hatten und es zu Blutungen kam. Auch der damals leitende Arzt (der im Jahr 2000 verstorben ist) war durch seine aggressive Art berüchtigt. "Er beschimpfte die Frauen als deutschen Dreck, deutsche Huren", erinnert sich Kerstin Otto. Mit eigenen Augen hat sie Hakenkreuz und Reichsadler unter einem Hocker in dem Untersuchungszimmer gesehen: "Und er hat sich auch wie ein Nazi aufgeführt."
Betroffene und andere Zeitzeugen können sich melden beim Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen: [email protected] oder telefonisch unter 0391 / 5 67 50 51