Datenkrieg im Ratshof Datenkrieg im Ratshof : Hat OB Wiegand gegen den Datenschutz verstoßen?

Halle (Saale) - Gerade einmal acht Büros trennen Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) in der zweiten Etage des Ratshofs von Jan Hüttner, dem Geschäftsführer der Entwicklungs- und Verwaltungsgesellschaft Halle-Saalkreis (EVG). Doch die Kluft zwischen beiden Männern könnte derzeit größer kaum sein.
Angklage wegen Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz
Der Streit dreht sich um Ansiedlungsmanagerin Manuela Hinniger (Hauptsache Halle). Hüttner hat sie beurlaubt und zum 31. Mai gekündigt. Der OB ernannte die 34-Jährige daraufhin zur ehrenamtlichen Wirtschaftsbeauftragten. Doch der Fall ist jetzt eskaliert. Hüttner hat Strafanzeige gegen Wiegand und Jörg Siebenhüner, Geschäftsführer der städtischen Firma IT-Consult, gestellt, wie die Staatsanwaltschaft der MZ bestätigte. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz. Auch der Landesdatenschutzbeauftragte wurde eingeschaltet.
Kausa Hinniger: Trotz Beurlaubung Zugang zu Daten?
Die Hintergründe wurden auf einer außerordentlichen EVG-Aufsichtsratssitzung am 9. Mai diskutiert. Der MZ liegt der Protokoll-Entwurf der Sitzung vor. Demnach hatte Hüttner die Ansiedlungsmanagerin am 12. April beurlaubt - wegen mutmaßlicher arbeitsrechtlicher Verstöße. Zudem hatte der Geschäftsführer bei der IT-Consult den Zugang Hinnigers zum Computer-Netzwerk sperren lassen.
Allerdings soll die freigestellte Mitarbeiterin noch am selben Tag ein Nachbarbüro im Ratshof bezogen haben. „Im Auftrag des OB-Büros wurde von der IT-Consult Hardware der EVG in dieses Büro verbracht“, steht im Protokoll. Bei einer Überprüfung habe man festgestellt, dass der Netzwerkzugang für Hinniger wieder hergestellt worden sei und sie vollen Zugriff auf die EVG-Daten habe.
Oberbürgermeister Bernd Wiegand steckt in Erklärungsnot. Unabhängig von der Frage, ob die Kündigung einer Mitarbeiterin der städtischen Ansiedlungsgesellschaft EVG rechtens gewesen ist, spielt Bernd Wiegand mit dem Feuer. Dass er die einstige Ansiedlungsmanagerin unter seine Obhut genommen hat und sie „ehrenamtlich“ als seine Wirtschaftsbeauftragte demonstrativ stützt, hat in der politischen Landschaft schon für Aufsehen gesorgt. Schließlich sind beide über den Verein „Hauptsache Halle“ eng verbunden. Und Wiegands Entscheidung gibt allen Kritikern Nahrung, die sagen, dass aus dem OB-Büro heraus der Wahlkampf für den Verein gesteuert wird.
Dass sich der OB über die Weisung des EVG-Chefs hinwegsetzt und veranlasst haben soll, den IT-Zugang für die geschasste Mitarbeiterin wieder herzustellen, riecht nach einem Skandal. Ob gegen Gesetze verstoßen wurde, muss die Justiz bewerten. Und es bleibt die politische Dimension. Gegenüber den Fraktionen wird sich der OB trotz der Beteuerung der Stadtwerke erklären müssen, wie sicher das Datennetzwerk ist.
Schlimm ist zudem die Außenwirkung, die der Konflikt jenseits der Stadtgrenzen erzeugt. Gerade erst hat Halle das Rennen um ein neues Porsche-Werk gewonnen. Die Investoren werden sich fragen, wie vertrauenswürdig die Wirtschaftspolitik noch ist. Diese Unruhe kann die Stadt nicht gebrauchen.
Das sei ohne sein Wissen geschehen, so Hüttner. Der Zugriff sei unerlaubt und illegal, heißt es im Protokoll. Außerdem sollen alle Unterlagen und Akten zu Projekten, mit denen die gekündigte Mitarbeiterin befasst gewesen ist, beim Umzug mitgenommen worden sein. Er könne nicht ausschließen, dass Daten unberechtigt an Dritte weitergegeben wurden. Hüttner hatte zum 1. Januar 2019 den Geschäftsführerposten übernommen.
OB Wiegand weist Anschuldigungen zum Datenschutz von sich
Der OB weist die Vorwürfe gegen sich und Siebenhüner zurück. „Sie dienen dazu, wenige Tage vor der Kommunalwahl Personen zu beschädigen. Als Gemeindewahlleiter und aufgrund der Anzeige bei der Staatsanwaltschaft werde ich mich nicht weiter zur Sache äußern und behalte mir vor, zu einem späteren Zeitpunkt die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte Wiegand der MZ.
Bereits in der Aufsichtsratssitzung hatte er sich mit Hüttner ein Wortgefecht geliefert und von einer „politischen Angelegenheit“ gesprochen. Der Sachverhalt sei anders, das werde sich in einem Gerichtsverfahren zeigen. Hüttner wollte sich indes ebenso wenig äußern wie Hinniger.
Datenschutz: Die Linke fordert Aufklärung
Die Linkspartei spricht von einem möglichen Datenschutzskandal, dessen Tragweite, sollten sich die Vorwürfe bestätigen, „noch nicht abzusehen ist“. Zunächst müsse die Aufklärung durch die Staatsanwaltschaft und den Landesdatenschutzbeauftragten Priorität haben. „Wenn im Zweifel eine Anweisung aus dem OB-Büro reicht, um die IT-Consult auf fremde Netzwerke loszulassen, muss man sich das potenzielle Ausmaß solcher Möglichkeiten klar machen“, sagt Fraktions-Chef Bodo Meerheim.
Die Reaktion auf die Datenaffäre im Ratshof ruft die Fraktionen auf den Plan. Sie verlangen von der Verwaltung und den Stadtwerken eine Auskunft darüber, wie sicher die Daten der Parteien und Wählergruppen sind. Schließlich handelt es sich auch um einen vertraulichen Mail-Verkehr unter anderem mit Einwohnern, Institutionen und Behörden.
Auf Nachfrage der MZ erklären diesbezüglich die Stadtwerke für ihre Tochter IT-Consult: „Die Vertraulichkeit der Daten ist sichergestellt. Es gibt dafür eine Vielzahl technischer und organisatorischer Maßnahmen (unter anderem Vertraulichkeitsprüfung, getrennte Systeme, Firewalls, Verschlüsselung). Veränderungen an den Nutzerzugängen zu den Systemen und den Daten werden nur durch die Stadträte persönlich veranlasst.“
IT-Consult sei der zentrale Dienstleister der Stadtverwaltung, zahlreicher kommunaler Unternehmen und des Stadtrats. „Wir wollen wissen, ob der OB vielleicht auch bei uns mitliest“, meint Melanie Ranft (Grüne), während die Mitbürger die konsequente Prüfung der Vorgänge begrüßen, „die Herr Hüttner eingeleitet hat“. (mz)