Carmen Rohrbach Carmen Rohrbach: Geschwommen ums Überleben
Halle (Saale)/MZ. - Irgendwann reichte es Carmen Rohrbach. Sie war Biologin an der Universität Halle, und sie wollte forschen. Doch nicht mal ins sozialistische Ausland ließ man sie. Nicht in die Mongolei, da könnte sie ja über die Wüste Gobi nach China fliehen wollen. Nicht nach Kuba, da hätte sie ja Zuflucht im amerikanischen Lager Guantanomo suchen können. "Ich war vorher nicht kritisch und hatte auch nicht an Flucht gedacht. Aber ich wollte mein Leben der Forschung widmen." Und so entschloss sich Carmen Rohrbach 1974, gemeinsam mit ihrem Freund das Weite zu suchen, quer über die Ostsee.
Im Rahmen der Ausstellung "Fluchtschicksale - Der gefährliche Weg in den Westen", die derzeit in der Stasi-Unterlagenbehörde Halle zu sehen ist, liest Carmen Rohrbach am Donnerstag aus ihren Erinnerungen. "Der Plan war, mit einem aufblasbaren Kajak nach Dänemark zu paddeln. Das waren etwa 50 Kilometer." Die hätten sie schaffen können, erzählt Carmen Rohrbach, sie und ihr Freund seien gut trainiert gewesen. Beide waren damals Mitglied in einem Tauchklub. Im August 1974 machten sie sich auf den Weg, doch bereits in der ersten Nacht der Flucht gerieten sie in den Lichtkegel eines Küstenschutzbootes der DDR. Sie zerstörten ihr Boot und schwammen, mit einer dünnen Nylonschnur aneinander festgebunden. Schwammen eine Nacht, einen Tag, noch eine Nacht. Im Morgengrauen dann erreichten sie eine Boje, etwa die Hälfte der Strecke hatten sie da geschafft. Sie klammerten sich fest, nah am Erschöpfungstod, ohne Essen, ohne Trinken.
Als dann gegen 11 Uhr ein Boot auftauchte, besetzt mit ostdeutschem Personal, überwog die Erleichterung über die Rettung fast die Enttäuschung, es nicht geschafft zu haben. "Nach diesem Erlebnis war ich überzeugt, nicht gebrochen werden zu können." Mit dieser Überzeugung, erzählt Carmen Rohrbach, sei es ihr besser gegangen als ihren Mitgefangenen, mit denen sie später, nach ihrer Verurteilung wegen Republikflucht zu fast drei Jahren Haft, im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck einsaß. Die Erlebnisse dort sind nicht weniger eindrücklich als die der Flucht. Mehr als 2 000 Frauen in einem Gefängnis, das für nur 700 Insassinnen ausgelegt war. 27 Frauen in einer Zelle, die ausschließlich mit dreistöckigen Betten vollgestellt war. Kriminelle und politische Häftlinge zusammen. Einmal im Vierteljahr die Erlaubnis, einen Brief zu schreiben.
"Das Schlimmste war, dass man gebrochen werden sollte." Carmen Rohrbach aber hat sich selbst nie als Verbrecherin begriffen, und vielleicht rettete sie diese Überzeugung.
Nach zwei Jahren Haft wurde sie von der Bundesrepublik freigekauft. Endlich kam sie in den Westen, wo sie auch ihren Freund wiedertraf. Ihre Wege trennten sich aber, und die junge Frau ging nach München, wo sie forschen konnte, so viel sie wollte. Heute lebt sie als Reisebuchautorin am Ammersee.