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Kandidaten im Gespräch Bundestagswahl 2017 - Kandidaten im Gespräch - Petra Sitte (Die Linke)

09.09.2017, 10:59
Petra Sitte ist im halleschen Stadtbild, vor allem im Osten der Stadt, auf dem Rad anzutreffen.
Petra Sitte ist im halleschen Stadtbild, vor allem im Osten der Stadt, auf dem Rad anzutreffen. Günter Bauer

Halle (Saale) - Nicht nur in ihrem Wohnviertel ist die sportliche Politikerin oft auf dem Rad anzutreffen. Petra Sitte sitzt seit 2005 für Die Linke im Bundestag - und hat auch in Berlin ein Fahrrad, um schnell durch die Hauptstadt zu kommen. Zur Bundestagswahl 2017 tritt die 56-Jährige erneut an. MZ-Redakteurin Katja Pausch hat sich mit der promovierten Volkswirtin unterhalten.

Frau Sitte, Sie sitzen seit 2005 im Bundestag. Was sind dort Ihre Themen, wie können Sie in Berlin für Sachsen-Anhalt und auch für Halle wirken?
Petra Sitte: Im Bundestag arbeite ich vor allem zu Wissenschafts- und Netzpolitik. Forschung und Technologie betreffen in Halle zum Beispiel Uni-Angehörige, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und innovative Unternehmen. Gerade für wissenschaftlichen Nachwuchs besteht Handlungsbedarf. Viele haben nur Teilzeit- und befristete Verträge. Das sind Bedingungen, die nicht nur wissenschaftliche Arbeit, sondern auch die Lebensperspektive junger Wissenschaftler einschränken.

Daher fordern wir, den Hochschulpakt des Bundes zu verstetigen und die Ausfinanzierung der Hochschulen zu sichern. Beim Bafög, für das nun vollständig der Bund aufkommt, haben wir gemeinsam mit Abgeordneten des Landtages darauf gedrungen, dass das Geld auch an den Hochschulen ankommt.

Sie kandidieren für den Wahlkreis 72 - ein unterschiedlich strukturierter Wahlkreis ...
Sitte: In der Tat. Dazu gehören soziale Brennpunkte wie Halle-Neustadt, Heide-Nord oder die Silberhöhe ebenso wie die Standorte von Uni, Kunsthochschule, der Hochschule für Kirchenmusik, welche Stadtviertel aufwerten. Für Menschen, die sozial benachteiligt werden, engagiere ich mich besonders. Ich wohne selbst in solch einem Viertel. Nur wenn ich den Alltag dort erlebe, kann ich auch überzeugend und mit Druck im Bundestag an der Lösung sozialer Probleme mitwirken. Da bedarf es des persönlichen Kontaktes.

Ich werde auch auf der Straße angesprochen. Ich erlebe Frust und Resignation. Viele fühlen sich von der Politik vergessen, abgehängt. Themen wie Niedriglohn, Hartz IV, Aufstocken, Minijobs und Leiharbeit beschäftigen die Menschen. Und viele empfinden die Lohn- und Rentenunterschiede zwischen Ost und West als Beleidigung.

Petra Sitte wurde 1960 in Dresden geboren. Nach dem Abitur 1979 studierte sie Volkswirtschaft an der Universität Halle, 1987 promovierte sie. 1981 trat sie in die SED ein, 1988/89 war sie 2. Sekretär der FDJ-Kreisleitung der halleschen Uni. 1990 wurde Petra Sitte für die PDS in den Landtag von Sachsen-Anhalt gewählt und war dort 15 Jahre lang tätig. Von 2004 bis 2014 begleitete Petra Sitte als Stadträtin in Halle unter anderem die Gründung des TGZ Weinberg Campus, war dort bis 2014 im Aufsichtsrat. 2005 zog Petra Sitte für Die Linke in den Bundestag ein. Seitdem spielt sich ihr Leben zwischen Halle und Berlin ab. Seit Oktober 2013 ist sie Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Die Linke. Petra Sitte unterstützt unter anderem den Kunstverein Talstraße, das Künstlerhaus 188 und das Kinder- und Jugendhaus Halle. Ihre zweite Leidenschaft neben der Politik gilt dem Sport. Sie fährt zu Terminen mit dem Rad, fährt Rennrad und ist Gast im Fitnessstudio.

Nehmen wir den Mindestlohn. Wie steht Die Linke dazu?
Sitte: Wir haben fast ein Jahrzehnt dafür gekämpft und wurden anfangs von Gewerkschaften und der SPD verlacht. Damals wurde im Dienstleistungsbereich nicht mehr über Qualität, sondern nur noch über Lohnunterbietung konkurriert. Jetzt haben wir den Mindestlohn – aber immer noch mit Ausnahmen. Und auch die 8.84 Euro Stundenlohn sind immer noch Niedriglohn, der keine armutsfeste Rente bringt. Eine Kleine Anfrage unserer Fraktion beim Arbeitsministerium ergab, dass der Mindestlohn bei 11,68 Euro liegen müsste.

Deshalb fordern wir zwölf Euro. Solange es Minijobs gibt, müssen sie vom ersten Tag an sozialversicherungspflichtig sein. Gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen haben wir im Bundestag immer wieder Anträge gestellt. Halle hat 12.000 Arbeitslose, davon über 4.000 Langzeitarbeitslose. Sie werden in fragwürdigen Maßnahmen geparkt und kommen doch nicht in Jobs. Daher wollen wir einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, um Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

Was sagt Die Linke zum Thema Bildung?
Sitte: Bildung soll ab der Kita gebührenfrei sein – bis ins Berufsleben hinein. Wir wollen, dass Kinder länger gemeinsam auf Ganztagsschulen lernen, statt schon in der vierten Klasse ausgelesen zu werden. Lehr- und Lernbedingungen sollen so gestaltet sein, dass Kinder mit Handicap an Regelschulen lernen können. Mehr Lehrer, Sozialarbeiter, pädagogische Mitarbeiter und Schulpsychologen, kleinere Klassen und barrierefrei sanierte Schulen sind unabdingbar, vor allem in sozialen Brennpunkten.

Stichwort Rente. Wofür steht Die Linke?
Sitte: Die gesetzliche Rente muss wieder gestärkt, Riester in diese überführt werden. Rente muss vor Altersarmut schützen und in Ost und West gleich sein. Infolge der Niedriglöhne muss eine solidarische Mindestrente von 1.050 Euro eingeführt und die Rente wieder ab 65, nicht ab 67 gezahlt werden. Alle sollen einzahlen: Beamte, Politiker, Minister und Selbstständige nach individuellem Einkommen.

Wie sieht eine Zuwanderungspolitik aus, die Sie vertreten können?
Sitte: In den letzten zwanzig Jahren sind öffentliche Daseinsvorsorge ausgezehrt und eine Million Beschäftigte abgebaut worden: bei der Polizei, in Bildung, Sozialem und Kultur. Diese Defizite konnte jeder sehen. Aber politisch sind sie ignoriert worden. Und dann kam 2015. Mit den Flüchtlingen brachen die Probleme auf. Wir setzen uns daher für Programme ein, die allen nutzen – unabhängig vom Geburtsort.

Oftmals wird mir gesagt: „Für die Flüchtlinge ist das Geld da.“ Ich frage dann zurück, ob sie der Meinung sind, dass zum Beispiel die Rente ohne den Flüchtlingen höher wäre. Sicher können aus Deutschland nicht alle Probleme der Welt gelöst werden. Aber deutsche Konzerne und Politik haben Fluchtursachen mit zu verantworten. Menschen in Not sollen sichere Fluchtwege finden und nicht ertrinken oder in Lagern unmenschlich behandelt werden. Menschenrechte gelten über nationale Grenzen und Mauern hinweg und dürfen nicht durch Haushalts- oder Stimmungslagen eingeschränkt werden.

Was macht Die Linke als Oppositionspartei aus?
Sitte: Über alle Politikfelder hinweg stellen wir die soziale Frage. Und wir haben eine grundsätzlich andere soziale Idee, wie Politik ausgerichtet sein muss: solidarisch.

(mz)