Kandidaten im Gespräch Bundestagswahl 2017 - Kandidaten im Gespräch - Evelyn Nitsche (AfD)

Halle (Saale) - Die Geschäftsstelle des AfD-Kreisverbands in Halle zu finden, ist eine Kunst für sich. Die Partei hat ihr Hauptquartier im Gewerbegebiet an der Zscherbener Landstraße in der Neustadt eingerichtet, weit ab der Innenstadt. „Wer uns finden will, der schafft das auch“, sagt Evelyn Nitsche. Die 61-Jährige tritt als Direktkandidatin im Wahlkreis 72 an. MZ-Redakteur Dirk Skrzypczak hat sich mit der Zahntechnikerin unterhalten.
Die AfD sieht sich als bürgernaher Anwalt der kleinen Leute. Warum verstecken Sie sich in einem Gewerbegebiet?
Nitsche: Einige Kollegen, welche in Innenstadtlagen angemietet haben, werden sehr häufig angegriffen. Wir führen sehr viele Bürgergespräche. Sie finden den Weg zu uns.
Sie sind in der politischen Landschaft noch vergleichsweise unbekannt. Wie sind Sie zur AfD gekommen?
Nitsche: Die EU-Politik habe ich seit 2002 kritisch hinterfragt, da die Mitgliedsstaaten eine zu ungleiche Wirtschaftsleistung aufweisen. Hinzu kam die Globalisierung. Eine solche Politik führt zu erheblichen Lasten für unsere Nachfolgegenerationen. Hierfür tragen wir eine große Verantwortung.
Also haben Sie als EU-Kritikerin eine Plattform gesucht?
Nitsche: Ursprünglich gehörte ich zur CDU-Wählerschaft, als sie noch ihre alten Positionen vertrat, welche heute nur noch in der AfD zu finden sind. Die Gesellschaft brauchte eine politische Veränderung und ich wollte dazu beitragen.
Die meisten Parteien sehen die AfD in der Nähe der NPD.
Nitsche: Wir treten solchen bewussten Unterstellungen strikt entgegen. Die AfD ist eine demokratische und rechtsstaatliche Partei.
Evelyn Nitsche liebt Halle. „Ich habe die Stadt nur im Urlaub verlassen“, sagt sie. Die 61-Jährige ist geschieden, Mutter und hat zwei Enkel. In der DDR wollte sie Medizin studieren. Allerdings war die Familie dem Staat nicht geradlinig genug, wie sie erzählt. Ihr Vater lebte in Westberlin. Und weil sie sich weigerte, sich von ihm loszusagen, durfte sie nicht auf die Oberschule. Damit war auch das Studium nicht möglich. Nitsche absolvierte eine Ausbildung zur Zahntechnikerin. Nach dem Mauerfall machte sie sich im Textilgroßhandel selbstständig. Mit dem Einzug von Alexander Raue in den Landtag wurde Nitsche Mitarbeiterin im Wahlkreisbüro des Abgeordneten. Außerdem arbeitet sie ehrenamtlich im AfD-Kreisverband in Halle. Nitsche liebt das Radfahren in der Natur und verbringt nach eigenen Angaben viel Zeit beim Lesen.
Dennoch wird Ihrer Partei die Demokratiefähigkeit abgesprochen. Die CDU im Landtag wurde heftig kritisiert, weil sie einen Antrag der AfD unterstützt hat.
Nitsche: Das erschüttert mich, denn solche Verhaltensweisen befördern den Demokratieabbau. Jeder Politiker ist verpflichtet, die Interessen der Bürger zu wahren. Politiker sollten das Sprachrohr des Volkes sein. Zudem fordere ich eine direkte Demokratie in Form von Volksabstimmungen.
Harmlos ist die AfD nicht. In Halle unterstützt sie die Identitäre Bewegung.
Nitsche: Der KV Halle weist keine Zusammenarbeit mit der Identitären Bewegung auf. Persönlich habe ich schon mit einigen jungen Leuten der Identitären Bewegung kurze Gespräche geführt, so wie ich es auch zu Demonstrationen und Kundgebungen mit den jungen Leuten der Gegendemonstration versucht habe. Die Aktivisten der Identitären Bewegung machten auf mich einen sehr intelligenten, friedlichen Eindruck, welcher untermauert ist von sehr guten Umgangsformen.
Leider kann ich das von den jungen Menschen der politischen Gegner nicht immer behaupten. Die mangelnde Diskussionsbereitschaft war in diesen Fällen etwas bedauerlich. Persönlich wünsche ich mir, dass auch konträre Meinungen an einem Tisch zusammenfinden, um das Optimum für den Bürger zu erreichen.
Die Identitäre Bewegung wird vom Verfassungsschutz beobachtet.
Nitsche: Die genauen Gründe dafür kenne ich nicht. Aber was ist mit den Gegnern des G-20-Gipfels in Hamburg? Das ist ein anderes Kaliber. Da hätte der Verfassungsschutz eine größere Aufgabe.
Ärgert es Sie, dass die Flüchtlingskrise nicht mehr so akut wie vor der Landtagswahl ist? Ein Großteil des Erfolgs verdankt die AfD der Sorge vieler Menschen angesichts der Migrationsbewegung.
Nitsche: Unsere AfD existierte schon vor der Flüchtlingskrise, die immer noch am Anfang steht. Mit dem nun beginnenden Familiennachzug ist eine Verfünffachung der Migration nach Deutschland zu erwarten. Die Integration so vieler Menschen, ist sehr unwahrscheinlich, dies erkennt man an den No-Go-Areas in deutschen Städten. Wie lange unser Sozialsystem, wie man an der Staatsverschuldung sieht, diese Situation noch tragen kann, ist sehr fraglich. Deutschland ist kein reiches Land, es ist nur ein weniger armes Land als die anderen armen Länder der EU.
Sollten Sie tatsächlich in den Deutschen Bundestag einziehen, was wären Ihre Schwerpunkte?
Nitsche: Man muss sich entscheiden, wenn man Politik korrekt für den Bürger betreiben möchte, dann sind Nebentätigkeiten, Aufsichtsratsposten, Personalratsposten nicht möglich. Mein besonderer Einsatz gilt der Rechtsstaatlichkeit und direkter Mitbestimmung.
Volksabstimmungen sind in einer wirklichen Demokratie unumgänglich. Hätte man unserem Volk schon in der Vergangenheit ein Mitspracherecht eingeräumt, wären uns viele Brüsseler-Entscheidungen erspart geblieben. Große Sorge bereitet mir die soziale Ungerechtigkeit. Jedes fünfte Kind lebt in Armut. Viele Renten und Erwerbseinkommen reichen nicht zum Leben. Im Themenfeld des Gesundheits-, und Pflegewesens sehe ich ebenso einen großen Handlungsbedarf.
Auch der Tierschutz ist mir sehr wichtig, artgerechte Tierhaltung befürworte ich, das Schächten von Tieren lehne ich generell ab.
Sollte es am 24. September nicht klappen, werden Sie dann von der Bildfläche verschwinden?
Nitsche: Nein. Es geht mir um die Zukunft unseres Landes, für die ich mich weiterhin mit aller Kraft einsetzen werde, gemeinsam mit unserem Kreisverband Halle.
Wo und wie suchen Sie eigentlich Entspannung?
Nitsche: Diese finde ich beim Radfahren in der Natur, beim Spazieren in meinem Stadtviertel oder beim Lesen eines guten Romans. (mz)