Boxen Boxen: Das leichte Schwergewicht
Halle (Saale)/MZ. - Der Saal tobte. "Knochen hoch, pass auf", brüllte es warnend aus der mitfiebernden Zuschauermenge. Trainer Siegfried Vogelreuter in der Ringecke saugte nervös am Trinkhalm der Flasche, die eigentlich für seine Boxer bestimmt war. Und sein Kollege Lutz Kämpfe gestikulierte wie wild.
Der, der die Hysterie ausgelöst hat, hielt sich kaum noch auf den Beinen. Völlig ausgepumpt wankte Islam Sulimanov in den Schlusssekunden seines Drittliga-Kampfes durch den Ring und versuchte, den Schlägen von Florian Schulz auszuweichen. Denn in der Not seiner Verzweiflung setzte der Koloss aus Wismar alles auf eine Karte und fightete. Vergebens. Schulz, fast einen Kopf größer und 23 Kilo schwerer sowie als EM-Zweiter im Nachwuchs auch schon international erfolgreich, konnte die Punkte nicht mehr aufholen, die sich Sulimanov zuvor mit seinen wuchtigen Attacken erarbeitet hatte. 18:10 hieß es am Ende des Schwergewichtskampfes - und damit 12:11 für das Boxteam Sachsen-Anhalt. Sulimanov hatte seiner Mannschaft in letzter Minute den Gesamterfolg gegen Wismar gesichert.
Ein Sieg des Willens war das. Nicht aber der Kondition oder größeren Kraftreserven. "Die ganze Woche habe ich nicht trainiert", gab Sulimanov dann auch zu. "Ich hatte zu viel zu tun mit meiner Lehre." Doch als Schwergewichtler Alexander Wust sich krankmeldete und kein Ersatz da war, sprang der Halbschwergewichtler ein. Trotz seines Trainingsrückstandes. Trotz des erheblichen Gewichtsnachteils.
"Gut gemacht", lobte Vogelreuter nach dem nervenaufreibenden Gefecht den Boxer, tätschelte ihm die klatschnasse Schulter und schickte gleich noch einen Wunsch hinterher. "Ich hoffe, dass er nun wieder konsequent ins Training einsteigt." Denn am Samstag wartet in Chemnitz schon wieder die nächste Herausforderung.
Die Mannschaft braucht diesen schlagstarken Burschen, der so spektakulär boxt und die Zuschauer begeistert. Er hat alles, was einen guter Boxer ausmacht. Im Ring, so scheint es, kann sich Sulimanov leichter durchboxen als außerhalb der Seile. "Der Junge ist dabei, seinen Weg zu finden", meint Vogelreuter.
Seit vier Jahren bemüht sich Sulimanov um seine Einbürgerung. 2001 kam der Tschetschene als kleiner Junge mit seiner Familie aus dem Kriegsgebiet von Grosny nach Halle, ging in Neustadt zur Schule und hat bei der ESG unter Lutz Kämpfe das Boxen erlernt. Offenbar nicht schlecht: Sein Startbuch weist den heute 19-Jährigen als dreifachen Sieger einer internationalen deutschen Nachwuchs-Meisterschaft aus.
Doch Sulimanov träumt davon, auch deutscher Meister bei den Männern zu werden und seine Wahlheimat bei großen Titelkämpfen zu vertreten. Dafür engagiert sich Kämpfe: Er hilft bei Behördengängen und dem Schrift-Kram. Seit anderthalb Jahren sind auch Sachsen-Anhalts Boxverband, der Landessportbund und der Olympiastützpunkt mit im Boot. Alle befürworten Sulimanovs Einbürgerung.
Diese ist, so wird es dem Boxer auf den Ämtern immer wieder versichert, auf einem guten Weg. Die Vorgaben, so Kämpfe, sind jedenfalls erfüllt. "Islam lebt länger als acht Jahre in Deutschland, hat die zehnte Klasse abgeschlossen und eine Lehre angefangen. Jetzt gibt es nichts mehr, was gegen einen deutschen Pass für ihn spricht."
Ein Anfang scheint gemacht. Denn Sulimanov bekam nun einen unbefristeten EU-Reisepass. Das nährt seine Hoffnung auf ein baldiges Happy End. Und damit die Chance, sich vielleicht doch schon nächstes Jahr seinen Traum vom Olympiastart zu erfüllen.