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Blick oder ein Fingerschnipsen Blick oder ein Fingerschnipsen: So rettet Halles Souffleuse die Akteure auf der Bühne

Von Katja Pausch 06.12.2019, 14:30
Immer einen Platz in der ersten Reihe: Souffleuse Sylke Apel hat während der Vorstellung stets den Text im Blick- ebenso wie das Bühnengeschehen, hier in der Kammer für das Stück „Gespenster“.
Immer einen Platz in der ersten Reihe: Souffleuse Sylke Apel hat während der Vorstellung stets den Text im Blick- ebenso wie das Bühnengeschehen, hier in der Kammer für das Stück „Gespenster“. Katja Pausch

Halle (Saale) - Wenn im großen Saal des Neuen Theaters die legendäre „Weihnachtsgeschichte“ beginnt, in der Kammer die „Gespenster“ ihr Unwesen treiben, wenn „Tschick“ seine Abenteuer erlebt und „Nathan der Weise“ oder der „Tempelherr“ ihren Auftritt haben - dann bleibt in den Zuschauerreihen stets ein Platz in der ersten Reihe frei. Selbst dann, wenn Saal oder Kammer restlos ausverkauft sind. Denn dieser freie Platz ist einer ganz besonderen Person am Theater vorbehalten: der Souffleuse.

Souffleuse am Theater Halle: „schon immer hat mein Herz fürs Theater geschlagen“

Auf der halleschen Kulturinsel gibt es drei - eine davon ist Sylke Apel. Die Hallenserin macht diesen Job mit einer Leidenschaft, die ansteckt. Dabei kam Sylke Apel über Umwege zu diesem Beruf, für den es keine Ausbildung gibt und der als so genannter „Anlernberuf“ nicht geschützt ist. Für Sylke Apel war diese Tatsache vor elf Jahren ein glücklicher Umstand: „Als mein Sohn bei einem Casting am NT dabei war, habe ich den Tipp bekommen, dass demnächst eine Souffleuse aufhört - für mich die Chance, mich zu bewerben“, so Sylke Apel.

Zu diesem Zeitpunkt hat sie schon 15 Jahre bei der Havag gearbeitet: als Straßenbahnfahrerin. „Eine schöne Arbeit, aber schon immer hat mein Herz fürs Theater geschlagen“, sagt die Hallenserin, die bereits als Kind bei vielen Aufführungen auf der Bühne gestanden und 2008 die Chance auf einen beruflichen Neuanfang ergriffen hat. Nun also hat sie den Job unmittelbar vor der Bühne.

Sechs Wochen lang täglich morgens und abends im Theater zu sein

Platz Nummer 6 - das ist seitdem Sylke Apels täglicher Arbeitsplatz. Zumindest, wenn sie die Vorstellungen in der Kammer begleitet. Im großen Saal dagegen ist es Platz Nummer 12. Was beiden gemeinsam ist, ist die Platzierung direkt in der Mitte der Sitzreihen. Schließlich muss eine Souffleuse - neben dem ständigen Blick ins Textbuch - das gesamte Geschehen auf der Bühne im Auge haben.

Doch die Arbeit beginnt bei weitem nicht erst mit den Vorstellungen. „Sobald ein Stück in den Spielplan aufgenommen und inszeniert wird, sind wir als Souffleusen schon bei der ersten Konzeptionsprobe dabei - wie auch später bei allen Proben“, so Sylke Apel. Das bedeute pro Stück: Sechs Wochen lang täglich morgens und abends im Theater zu sein.

Mit jedem Stück befasse sie sich auch inhaltlich, lese Bücher oder sehe Filme zum Thema, so die Souffleuse. So habe sie zum Beispiel für die „Faust“-Aufführung den „Mephisto“ gelesen. Und natürlich hat Sylke Apel auch Lieblingsstücke: „Zeit der Kannibalen“ zum Beispiel. Und „The King’s Speech“ würde sie liebend gern soufflieren.

Hilfe durch Souffleuse: Ein Blick, ein verstecktes Nicken oder ein Fingerschnipsen

Das Textbuch ist indes nicht nur für die Schauspieler, sondern auch für die Souffleusen das tägliche Arbeitsmittel. Am Ende der vielen Proben, sagt Sylke Apel, könne sie den Wortlaut ebenso auswendig. Während der Proben, vielmehr aber später während der Vorstellungen hat Sylke Apel nicht nur den Text im Blick, sondern vor allem die Schauspieler. Das verlange volle Konzentration - und auch ein großes Maß an Einfühlungsvermögen.

Denn auch Schauspieler haben manchmal persönliche Dinge im Kopf oder Sorgen, die vom Bühnentext ablenken. Oft bringe sie zu den anstrengenden Proben auch mal Kuchen oder Chili con Carne mit. „Auf der Bühne reagiert jeder anders, wenn er textlich ins Stocken geraten ist“, so Sylke Apel über den Ernstfall, die es den Schauspielern „an den Augen“ ansieht, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Ein verabredetes Zeichen - ein Blick, ein verstecktes Nicken oder ein Fingerschnipsen - genügt, und die Souffleuse rettet den Akteur auf der Bühne.

Für Dienstbeginn stets der gleiche Ablauf

Meist würde ein kurzes, geflüstertes Stichwort reichen, vom Publikum kaum bemerkt. Allerdings gab es für Sylke Apel auch schon mal eine Szene mit Per-Uwe Teska, bei der der Schauspieler einfach ins Publikum (und damit die Souffleuse) fragte: „Fragen wir doch mal, was Curt Goetz dazu sagt ...“ - Heiterkeit im Saal inklusive. Der große, viel zu früh verstorbene Karl-Fred Müller dagegen habe in einem Stück die textliche Unterstützung mit den Worten „Ablesen kann ich auch“ kommentiert - scherzhaft natürlich.

Und noch eine Anekdote kann Sylke Apel erzählen. Nämlich die, bei der sich ein Ehepaar im Publikum wunderte, dass auf der Bühne ständig Goethe zitiert wurde. „Sie glaubten, sie sitzen in ’Szenen einer Ehe’, stattdessen lief ’Die Leiden des jungen W.’“, so Sylke Apel. Für ihren Dienstbeginn bei den Vorstellungen zelebriert Sylke Apel übrigens stets den gleichen Ablauf: Bevor sie sich, das Textbuch unterm Arm, als Letzte im Saal setzt, gibt es eine kurze Verbeugung vor dem erwartungsfrohen Publikum. (mz)

In der Kammer des NT ist Platz Nummer 6 den Souffleusen vorbehalten.
In der Kammer des NT ist Platz Nummer 6 den Souffleusen vorbehalten.
Katja Pausch