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Weg vom Amtsstuben-Mief Bauhus-Jubiläum in Halle: Wie Architekten Halles Behörden vom Amtsstuben-Mief befreiten

Von Detlef Färber 27.01.2019, 15:01
Einst Sozialamt, jetzt einer der Standorte des Landesverwaltungsamts: das Gebäude in der Maxim-Gorki-Straße 4.
Einst Sozialamt, jetzt einer der Standorte des Landesverwaltungsamts: das Gebäude in der Maxim-Gorki-Straße 4. Silvio Kison

Halle (Saale) - Wenn du zum Rathaus gehst, dann ... - Wie so ein Satz fortzusetzen wäre, hängt stark von Ort und Zeit ab. Im preußischen Halle etwa dürfte das Gefühl auf dem Weg zum Amt vor 110 Jahren wohl ein ganz anderes gewesen sein als heute. In den meist Ehrfurcht erregenden Behördenbauten der Gründerzeit zum Beispiel war man wohl eher auf einen strengen Empfang des jeweils vor Ort den Kaiser vertretenden Bürovorstehers gefasst - es sei denn man hatte sich zuvor mit einer Uniformkostümierung ähnlich der des Hauptmanns von Köpenick Respekt verschafft ...

Was für ein Umdenken muss es gewesen sein, das vor nun genau hundert Jahren einsetzte - im Verständnis des Amtlichen und bald auch bei der Planung neuer Gebäude für Räte, Ämter und Verwaltungen. Neue, helle Ställe sollte es nun geben für den viel zitierten Amtsschimmel, von dem viele behaupten, er könne gar nicht wiehern, weil er nur ein Papierschimmelpilz sei. Doch auch gegen einen solchen schien das „Neue Bauen“ der Moderne von Bauhaus und Co. ab 1919 ein probates Mittel zu sein.

Weg vom Amts-Mief: Besucher des einstigen Sozialamts bekamen herrschaftlichen Empfang

Eins der ersten Gebäude dieser Moderne-Art, die sich vom Amtsmuff und der zuweilen düsteren Ausstrahlung ihrer Vorgängerbauten unterscheiden sollten, war das von Hermann Frede ab 1921 als Sozialamt entworfene Gebäude im Paulusviertel, das die neue, der Klientel eher zugewandte Herangehensweise mit einer vorgartenartigen Eingangskonstellation samt imposanter Pergola als Empfang deutlich macht.

Und mehr noch: An den Portalen steht Kunst des Bildhauers Hannes Miehlich Spalier für die Eintretenden - Leute also, die gemäß dem Ursprungszweck des Hauses nicht zur High Society gezählt haben dürften.

Figuren am Rathaus fielen einst als „Metallspende“  dem Krieg zum Opfer

Kunst am Bau schien seinerzeit - anders als zwischendurch mal jahrelang - übrigens noch ein Muss gewesen zu sein. Das lässt sich am eindrucksvollsten wohl am Rathausbau sehen, den ein von Wilhelm Jost angeführtes Architektenquartett ab 1928 hinter das noch unversehrte alte hallesche Rathaus in den Ratshof stellte - nicht ahnend, dass dieser Verwaltungsbau nur 20 Jahre später die Funktion des nach einem Kriegsschaden abgerissenen Rathauses würde übernehmen müssen.

Und nur 13 Jahre waren den Figuren des Bildhauers Gustav Weidanz vergönnt, die an der Ecke zur Leipziger Straße den Ratshof-Turm schmückten und wohl die menschliche Dimension des Ratshandelns auf allen Etagen symbolisieren sollten. Nachdem sie als „Metallspende“ 1940 ebenfalls dem Krieg zum Opfer gefallen waren, blieben ihre Sockel für vier Jahrzehnte leer, bis sie von den heute hier postierten Figuren von Johannes Baumgärtner neu besetzt werden konnten.

Beeindruckend sind auch heute noch zwei Krankenkasse-Gebäude in Halle

Doch beileibe nicht nur Staat und Stadt versuchten sich und ihrem Handeln in den Zwanzigern auch äußerlich neue Anmutung zu verleihen. Auch andere beauftragten Architekten, um ihre neuen Ziele mit imagebildenden Bauten zu unterstreichen. Geradezu zu bewundern ist dies in Gebäuden wie dem der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK), das am heutigen Robert-Franz-Ring ab 1929 der Architekt Martin Knauthe erbaute - und das immer noch vom ursprünglichen Eigentümer genutzt wird.

Ebenfalls eindrucksvoll ist der Verwaltungsbau des Verbandes der Krankenkassen in der heutigen Clara-Zetkin-Straße - auch von Knauthe ab 1927 errichtet - das aber im Unterschied zu anderen Verwaltungsgebäuden zugleich von Anfang an in Teilen ein Wohnhaus war.

Steintorpalais prägt seit Jahrzehnten das Viertel

Wiederum erst am Ende der Goldenen Zwanziger durfte sich Wilhelm Jost, der in der langen Zeit von 1912 bis 1939 Halles Stadtbaurat war, am Steintorplatz beim Entwurf des raumgreifenden und imposanten ehemaligen Arbeitsamts verwirklichen.

Das Gebäude hat nach jahrelangem Leerstand inzwischen eine Sanierung erfahren und dient nun unter den Namen Steintorpalais als Seniorenpflegeheim. Eine sinnvolle und geglückte Umnutzung eines Gebäudes, das, wie kaum ein Gebäude sonst aus der Moderne-Periode, das Stadtbild seines Viertels zu prägen im Stande ist.

Dass es ganz anders hätte kommen können, zeigt der Entwurf für einen 15-stöckigen, fast wolkenkratzer-artigen Bau von Jost für diesen Platz. Dessen Realisierung ist Halle ebenso erspart geblieben, wie andere gigantomanische Projekte aus dieser Zeit. Zu sehen sind sie - wie vieles mehr zum Thema Moderne - derzeit in der sehr sehenswerten Schau im Stadtmuseum.

››Die nächste Folge der MZ-Serie befasst sich mit Kirchen (mz)

Einst Arbeitsamt, jetzt Seniorenresidenz am Steintor
Einst Arbeitsamt, jetzt Seniorenresidenz am Steintor
Silvio Kison
Die Turmecke des Ratshofs am Markt.
Die Turmecke des Ratshofs am Markt.
Silvio Kison
Das Haus in der Clara-Zetkin-Straße.
Das Haus in der Clara-Zetkin-Straße.
Silvio Kison
Das Krankenkassengebäude am Robert-Franz-Ring.
Das Krankenkassengebäude am Robert-Franz-Ring.
 Silvio Kison