Archivar entdeckt Wal-Penis
HALLE/MZ. - Unbemerkt verstaubte das tierische Exponat - bis nun der neue Archivar, Danny Weber, bei seiner Sichtung der Bestände darauf stieß. Der Wal-Penis ruft die Wissenschaft auf den Plan: Denn das 1,27 Meter große Prachtexemplar ist das wohl letzte noch in Halle vorhandene Relikt der längt verloren gegangenen naturkundlichen Sammlung.
Als Weber auf das grau-braune Fundstück stieß, wunderte er sich: "Ich hielt es für ein Tierhorn, möglicherweise von einer Antilope", erklärt der Historiker. "Aber so etwas gehört eigentlich nicht hier her, denn wir sind ein Archiv und kein Museum." Deshalb nahm der 31-Jährige, der seit dem 1. Mai im Amt ist, Kontakt zum Naturkundlichen Universitätsmuseum auf und bat dessen Leiter, Frank D. Steinheimer, um Hilfe.
"Das feste Stück, das aus getrockneter Haut und Muskeln besteht, sieht wirklich wie ein Antilopenhorn aus", sagt Steinheimer. Doch wenn man es umdrehe, sehe man Muskelgewebe und Blutgefäßkanäle. Im Zoologischen Institut der Uni wurde es vermessen und analysiert. "Die Untersuchung hat ergeben: Es handelt sich um einen 1,27 Meter langen Wal-Penis", erklärt Steinheimer. Doch unklar ist, von welcher Walart das Geschlechtsteil stammt. "Denn ihm fehlt ein entscheidendes Teil: seine Spitze." Deshalb sollen nun Walexperten, zum Beispiel vom Deutschen Meeresmuseum Stralsund, kontaktiert werden.
Auf jeden Fall hat der Leopoldina-Penis eine lange Geschichte. Steinheimer schätzt dessen Alter auf 200 bis 300 Jahre. Das würde zu Webers Vermutung passen, nach der das Fundstück Teil der früheren naturkundlichen Sammlung der Leopoldina war. Zu ihr gehörten Mineralien, Schädelskelette und Tierpräparate, die wohl von Akademiemitgliedern kamen. "Große Zukäufe sind jedenfalls nicht nachweisbar", weiß Weber. Die Stücke erlebten zahlreiche Umzüge, da bis 1878 die Gesellschaft ihren Sitz am Wohnort ihres jeweiligen Präsidenten hatte. Doch beim Umzug von Erlangen nach Bonn 1819, so Weber, wurde die Sammlung von bayerischen Zollbeamten beschlagnahmt und im Winter in einer Scheune gelagert. "Dadurch ist die Hälfte der Exponate verrottet", so der gebürtige Leipziger. Da das Präsidium meinte, eine halbe Sammlung lohne sich nicht, wurde der Rest Stück für Stück verkauft. "Der Wal-Penis muss über Bonn und Dresden letztlich mit nach Halle gekommen sein."
"Der Fund ist sehr ungewöhnlich, da die Sammlung schon lange nicht mehr existiert", schwärmt Museumschef Steinheimer. Dass sich Weber an ihn gewandt habe, sei ein Beleg dafür, dass die Leopoldina hinter dem neuen Uni-Museumsprojekt stehe. "Wir wollen den Wal-Penis außerdem nach dem Ende aller Untersuchungen an das Museum übergeben", sagte Weber der MZ. Für Steinheimer ein Glücksfall: Zwar habe man bereits Wal-Penisse. "Doch dieser eröffnet ein tolles, rund dreihundert Jahre großes Zeitfenster für die Forschung." DNA- und Isotopenanalyse, Messungen zur damaligen Umweltbelastung, Klimaforschung und Tests auf Parasiten und Krankheiten zählt er als Beispiele auf. Und da Strandungen großer Wale gut dokumentiert seien, könne man vielleicht auch das Rätsel lösen, wie der Wal-Penis vor Jahrhunderten zur Leopoldina kam.