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Archäologie Archäologie: Die Vorzeit war bunt

Von MICHAEL FALGOWSKI 08.08.2011, 08:29

Halle (Saale)/MZ. - An welcher Stelle beginnt man strategisch am günstigsten, ein Puzzle zusammenzusetzen? Am Rand, in einer der Ecken. Zumal wenn keine Vorlage existiert. Nach diesem Prinzip sind die hallesche Archäologin Franziska Knoll und ihre Helfer an die Arbeit gegangen. "Der Unterschied: Es waren 1 500 Bruchstücke, die nur mehr oder weniger zueinander passten", sagt Knoll. Zusammengeklaubt werden sie aus 200 Kilogramm Hüttenlehmputz-Schutt. Seit zwei Jahren schon sitzt Knoll nun an dieser Aufgabe, über die Reste einer 2 600 Jahre alten bemalten Hauswand gebeugt, wie es sie kein zweites Mal gibt. Der Schutt zeigt vor allem eins: "Die Vorzeit war bunter, als es sich die meisten von uns bisher vorstellen", sagt Sachsen-Anhalts Landesarchäologe Harald Meller.

Farbe in der Eisenzeit-Metropole

600 Jahre vor Christus saß ein prähistorischer Fresko-Maler vor einer braunen Lehmwand in einer eisenzeitlichen Siedlung entlang der Unstrut beim heutigen Wennungen (Burgenlandkreis) erstreckte. Der Meister hat mit zarten Strichen vorgezeichnet, mit weichem Pinsel, und dann rasch auf dem Lehmputz die kräftigeren Ornamente aufgetragen. In drei Farben. Die geometrischen Figuren und rätselhaften Symbole leuchten noch immer - wenn auch blass - rot, weiß und ocker. Die wohl rund vier Meter hohe Wand muss seinerzeit zu einem repräsentativen Gebäude gehört haben. Sie stand in einer wahren Metropole, umgeben von Wällen, einem mächtigen Wassergraben und Toranlagen. "Immerhin 8 000 bis zu 10 000 Bewohner dürften hier gelebt haben", schätzt Meller. Die Siedlung erstreckte sich über eine Länge von rund zwei Kilometer. "Das entspricht der Strecke von Halles Hauptbahnhof über den Markt bis zur Moritzburg", wie Projektleiter und Archäologe Matthias Becker erläutert. Salz und Bronze-Gussformen lagen in der Erde, die Spuren eines florierenden Handels. "Dass es in der Eisenzeit überhaupt derart großen Siedlungen gab, hat uns alle wirklich überrascht", sagt Meller.

Nur zehn Prozent dieser vergessenen Metropole haben die Wissenschaftler im Zuge der ICE-Neubau-Strecke jetzt untersucht. Allein 3 000 Siedlungsgruben haben sie ausgegraben. Das sind ehemalige Erdspeicher, vor allem für Getreide, die nach der Entnahme des Korns wieder mit Müll verfüllt wurden. In einer dieser Gruben lag "Befund 4733" - die Reste des bemalten Hausputzes.

Spektakulärer Fund

Der "Treffer", der "Superfund", wie Meller sagt. Beim Anblick der staubigen bemalten Brocken stockte den Ausgräbern der Atem. Denn gewöhnlich vergeht Lehm im Boden einfach. Warum "Befund 4733" erhalten blieb, das wissen die Wissenschaftler nicht so genau. Als günstig erwiesen sich offenbar die Lage zwischen trockenen Bodenschichten. "Die spektakulären Fragment-Funde sind der lang erhoffte Beleg dafür, dass es in der Eisenzeit auch bemalte Gebäude gab", sagt Meller. Für den wie so oft sehr begeisterten Landesarchäologe ist die Mauer schlicht eine Sensation. Für die bemalte Lehmwand aus der Eisenzeit gebe es keinen Vergleich. "Bisher wussten wir zwar, wie die Gebäude konstruiert waren, aber nicht, wie sie aussahen. Der Fund ist ein Schlüsselloch, durch das wir in die Vorzeit reisen können, deren Farbigkeit uns überrascht", sagt Meller. Begeistert ist er auch von der Qualität des Fundes. "Mit einer so hochwertig verarbeiteten, detailreichen Bemalung aus Mitteldeutschland hätte niemand gerechnet".

Knoll ist unterdessen noch immer mit dem Puzzle beschäftigt. Rund 300 Fragmente werden, vor einer knapp zwei Meter hohen Wand angeordnet, zu einer Attraktion der neuen Dauerausstellung im Landesmuseum. Im September 2012 sollen, raffiniert präsentiert, die Farben der Vorzeit leuchten.

Service
Öffnungszeiten Museum: Dienstag 9.00 bis 19.30 Uhr, Mittwoch bisFreitag 9.00 bis 17.00 Uhr, Samstag, Sonntag, Feiertage 10.00 bis18.00 Uhr; Eintritt Erwachsene 7 Euro, ermäßigt 5 Euro, Kinder imAlter von 6 bis 14 Jahren 3 Euro, Gruppenkarten