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Altes Handwerk Altes Handwerk: Sterben Buchbindereien in Halle aus?

Von Anja Herold 01.10.2016, 14:00
Buchbinderin Susann Reichhardt ist eine der letzten ihrer Zunft.
Buchbinderin Susann Reichhardt ist eine der letzten ihrer Zunft. Holger John

Halle (Saale) - Erinnert sich noch jemand daran, dass es einst viele Buchbindereien in Halle gab? Mehr als zwanzig waren es vor der Wende, heute gibt es noch zwei: eine kleine im halleschen Norden und die Buchbinderei Göring in der Mittelstraße. Die wird geführt von Susann Reichardt, einer fröhlichen, zupackenden Frau, die das Unternehmen vor zwei Jahren übernommen hat.

Sie hat das nicht bereut, aber einfach, sagt sie, sei es nicht. Wie so viele Branchen ist auch dieses Handwerk betroffen von den Umwälzungen der Zeit. Susann Reichardt ist ein positiv denkender Mensch, aber sie glaubt nicht, dass es ihr Unternehmen in 20 oder 30 Jahren noch geben wird.

Zahl der Firmen in Halle rückläufig

Das alte Handwerk scheint auszusterben. Seit Jahren ist die Zahl der Firmen in Halle rückläufig, im Saalekreis ist sie konstant - zwei sind es dort nach wie vor im Hauptgewerbe, wie Jens Schumann von der Handwerkskammer Halle angibt. Im gesamten Kammerbezirk seien es im Haupt- und Nebengewerk noch 13. Vor fünf Jahren, so Jens Schumann, sei zum letzten Mal ein Lehrling in diesem Beruf ausgebildet worden. In Sachsen-Anhalt gab es laut den letzten amtlichen Zahlen von 2010 noch 30 Mitarbeiter in diesem Gewerk, inzwischen dürften es weniger sein. Eine Buchbinderinnung gibt es hier schon lange nicht mehr.

Ihre größten Konkurrenten kann Susann Reichardt klar benennen: die Digitalisierung, zum einen. Fachblätter, Zeitschriften, wissenschaftliche Publikationen - so vieles wird zunehmend nicht mehr auf Papier, sondern online veröffentlicht.

Copyshops im Nacken

Zum anderen aber sitzen Susann Reichardt die Copyshops im Nacken, die auch Bindearbeiten anbieten - in kürzerer Zeit, für weniger Geld, was besonders die Studenten anzieht. Den Kundenrückgang spüre sie schon, sagt die Buchbinderin. „Ich bin bei dieser Arbeit für das Altherkömmliche, das braucht Zeit.“ Dafür seien die Produkte gut verarbeitet und liebevoller gestaltet.

Ein Buch fertigzustellen, dauert drei bis vier Wochen. Seiten beschneiden, kleben, wieder beschneiden, runden, pressen, falzen, Buchdeckel schneiden, zusammenhängen, beziehen, prägen… Das dauert eben. Susann Reichardt führt durch ihre Werkstatt, die Freude an ihrer Arbeit ist der 43-Jährigen anzusehen. Sie zeigt die Maschinen. Sehr alte sind darunter, die allesamt noch von ihren Vorgängern stammen.

Schrank voller Lettern

Einen Schrank voller Lettern öffnet sie, zeigt Einbandmaterial, metallene Klischees für Prägungen, erklärt Arbeitsabläufe. Legt ein großes Buch auf den Tisch, aus dem halleschen Stadtarchiv. Es stammt von 1908, der Rücken muss repariert werden. Die Stadt Halle ist einer ihrer Auftraggeber; Krankenhäuser, das Max-Planck-Institut oder die Universität sind weitere. Privatkunden hat Susann Reichardt auch, von ihnen allein, sagt sie, könne sie aber nicht leben. Für sie binde sie, zum Beispiel, Comics wie das „Mosaik“ zusammen, führe Reparaturen an alten Büchern aus oder fertige Fotoalben an.

Oder Hochzeitsbücher. „Ganz individuell, wie der Kunde es wünscht.“ Außerdem bringen regelmäßig Anwälte ihre juristischen Wochenschriften zum Binden.

Unternehmen zu DDR-Zeiten

Susann Reichardt hat zwei geringfügig Beschäftigte zur Unterstützung. Als sie anfing in der Buchbinderei Göring, 1995 war das, arbeiteten dort noch fünf Mitarbeiter. Das Unternehmen selbst gibt es seit 1969. „Die hatten in der DDR zu kämpfen, aber die Auftragslage war anders. Damals wurde ja viel mehr mit der Hand gemacht.“ Als die beiden Geschäftsinhaber verstorben waren, wurde Susann Reichardt gefragt, ob sie die Firma übernehmen wolle. 18 Jahre lang war sie da bereits angestellt, nachgedacht hat sie trotzdem lange über das Angebot. „Ich habe dann zugesagt unter der Bedingung, dass ich den Namen weiterführen darf“. Die Buchbinderei Göring sei schließlich ein bekannter Name in der Stadt, und so sei der Übergang den meisten Kunden gar nicht aufgefallen. Dennoch, sagt die Geschäftsführerin, sei es ein mutiger Schritt gewesen.

Es ist nicht nur das Handwerk, das ihr Freude macht. „Es macht einfach Spaß zu gestalten und den Kunden Wünsche zu erfüllen. Ich freue mich so, wenn sie dann zufrieden sind.“ Dennoch: „Irgendwann gibt es keine Buchbindereien mehr“, ist sich Susann Reichardt sicher. Existenzangst aber verspürt sie nicht. Dafür hat sie im Moment noch zu viel zu tun. (mz)