1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Abteilung Attacke in Halle: Abteilung Attacke in Halle: OB Wiegand wird Untreue in drei Fällen vorgeworfen

Abteilung Attacke in Halle Abteilung Attacke in Halle: OB Wiegand wird Untreue in drei Fällen vorgeworfen

Von Jan-Ole Prasse 22.02.2014, 12:55
Bernd Wiegand (parteilos) trug bei seiner Vereidigung am 12. Dezember 2012 erstmals die Amtskette der Stadt.
Bernd Wiegand (parteilos) trug bei seiner Vereidigung am 12. Dezember 2012 erstmals die Amtskette der Stadt. Lutz Winkler Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Die Joggingstrecke von Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) ist auch ein Symbol: Das Rive-Ufer ist benannt nach Richard Robert Rive. Er leitete zwischen 1906 und 1933 die Geschicke Halles und war vielleicht der bedeutendste Oberbürgermeister, den die Stadt je hatte. Wiegand selbst sieht sich in dieser Tradition. Rive ist eines seiner Vorbilder. Modernisierer, Bauherr und Sanierer. Wiegand nimmt diese historische Strecke des öfteren gemeinsam mit seiner Büroleiterin Sabine Ernst in Angriff. Beide haben in diesem Jahr auch den 200. Heidelauf in Dölau absolviert, inklusive eines zeitgleichen Überquerens der Ziellinie. Die beiden verstehen sich. Doch ausgerechnet Ernst mit ihrem Gehalt wird jetzt zu einer Gefahr für Wiegand. Die Staatsanwaltschaft Halle hat ihn deswegen angeklagt. Es könnte eng werden für den Oberbürgermeister.

Bei Verurteilung droht Freiheitsstrafe

Wiegand wird schwere Untreue in drei Fällen vorgeworfen. Er soll seine engsten Mitarbeiter - Büroleiterin Ernst, Grundsatzreferent Oliver Paulsen und die Referentin für Sicherheit und Ordnung Martina Wildgrube - bei der Einstellung im Dezember 2012 zu hoch eingestuft haben. In Zahlen bedeutet das: Jeder der drei soll etwa 1 400 Euro im Monat mehr verdienen als zulässig, so die Staatsanwaltschaft. Insgesamt entsteht der Stadt über die sieben Jahre Amtszeit hinweg laut Anklage dadurch ein Schaden von rund 300.000 Euro. Bei einer Verurteilung wegen schwerer Untreue drohen Wiegand zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Freiheitsstrafe. „Eine Geldstrafe ist in diesem Fall ausgeschlossen“, sagt der Sprecher des Landgerichtes Wolfgang Ehm.

Einer Anklage geht immer ein mehrstufiges Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft voraus.

Zunächst werden die Ermittlungen eingeleitet. Dies kann aufgrund einer Anzeige, aber auch von Amtswegen erfolgen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Staatsanwaltschaft durch Medienberichte auf ein mögliches Vergehen aufmerksam wird.

Ernst danach beginnt die Beweiserhebung. Dazu werden unter anderem Dokumente gesichtet und Zeugen gehört. Zwingend erforderlich ist die Vernehmung des Beschuldigten.

Nach Abschluss der Ermittlungen kann Anklage erhoben werden. Dafür muss sich ein hinreichender Tatverdacht ergeben haben. Das Gericht entscheidet dann, ob es zum Prozess kommt.

Bei Wiegand hat die Staatsanwaltschaft nach Medienberichten Mitte Mai Ermittlungen eingeleitet und Ende September Akten beschlagnahmt. Am 15. Januar wurde der OB vernommen.  (jop)

Schon vor der Anklage standen die drei Personalien im Zentrum der Kritik. Nicht nur, weil der Personalrat dem höheren Gehalt widersprochen und der Stadtrat den finanziellen Schaden für die Stadt angemahnt hat, sondern auch wegen der engen Beziehungen Wiegands insbesondere zu Paulsen und Ernst.

Ernst ist engste politische Vertraute

Der 39 Jahre alte Paulsen war Stadtverbands- und Fraktionsvorsitzender der Grünen in Halle. Im OB-Wahlkampf 2012 trat er für die Partei an. Nachdem er im ersten Wahlgang gescheitert war, machten sich die Grünen in der Stichwahl für Wiegand stark. Der gewann bekanntlich mit etwa 2 500 Stimmen Vorsprung. Direkt nach dem Amtsantritt stellte Wiegand Paulsen als persönlichen Referenten ein. „Er hat seine Seele für ein Linsengericht, für einen Rathausjob, verkauft“, nennt der CDU-Kreisvorsitzende Marco Tullner diesen Vorgang.

Sabine Ernst ist noch näher an Wiegand, sie gilt als seine engste politische Vertraute. 2009 stellte der 56-Jährige sie in seiner Zeit als Beigeordneter in Halle als Schwangerschaftsvertretung für seine persönliche Referentin ein. Nach einem Jahr wehrte sich Wiegand vehement gegen die Rückkehr seiner alten Mitarbeiterin. Das Vertrauensverhältnis zu ihr sei nachhaltig zerrüttet. Die damalige Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados (SPD) verfügte, dass er dennoch mit ihr zusammenarbeiten müsste. Daraufhin beschäftigte Wiegand Sabine Ernst weiterhin als private Referentin, die er aus eigener Tasche bezahlte. In dieser Funktion managte die 33 Jahre alte Journalistin seinen OB-Wahlkampf - unter anderem als Vorsitzende des Unterstützervereins „Hauptsache Halle“. Direkt nach der Wahl stellte Wiegand sie als Büroleiterin ein, seitdem gibt es kaum einen öffentlichen Termin, zu dem Ernst ihn nicht begleitet.

Gegner werfen Aktionismus vor

Den Oberbürgermeister fechten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft nicht an. Es gebe für die Anrechnung der vorherigen Berufstätigkeit eine klare Rechtsgrundlage aus dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes. Wiegand hat das in einem langen Schreiben an den Personalrat begründet. Damit ist für ihn alles geklärt. Für umso zweifelhafter hält Wiegand deswegen das ganze Verfahren.

Am Donnerstagabend ist er in die Offensive gegangen, hat in einer Pressemitteilung die Anklage gegen sich verkündet. Dieses Verhalten steht im Einklang mit seinem bisherigen Politikstil: Abteilung Attacke. Seit seinem Amtsantritt polarisiert er - zumeist mit schnellen Entscheidungen, an denen er unbeirrt und vehement festhält. Der Bau des neuen Deiches am Gimritzer Damm in Eigenregie der Stadt, die neue Eissporthalle, der Personalabbau in der Stadtverwaltung, die Standortfrage beim 35 Millionen teuren Mitteldeutschen Multimediazentrum. Immer preschte Wiegand voran. „Die Geschwindigkeit, mit der wir Probleme lösen wollen, ist für einige ungewohnt“, nennt er das. Seine Gegner werfen ihm dagegen Aktionismus und Kompromissunfähigkeit vor.

Verhalten hinterlässt Spuren

Auch innerhalb der Stadtverwaltung stößt der Oberbürgermeister auf Widerstand. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat er mehrere Amtsleiter versetzt, die gingen dagegen gerichtlich vor. Von Angestellten verlangt er Lösungen, nicht das Schildern von Problemen. Besprechungen mit ihm dauern selten länger als eine Stunde. Im Zweifel zählt Wiegand Mitarbeiter auch mal öffentlich an, wenn sie aus seiner Sicht nicht richtig gearbeitet haben. Wie vor vier Wochen den Chef des Planungsamtes, weil er keine schnelle Lösung für eine Abbiegespur parat hatte. Dieses Verhalten hinterlässt Spuren. „Die Stimmung in der Verwaltung war noch nie so schlecht, wie derzeit“, heißt es aus Belegschaftskreisen.

Bei vielen Hallensern stoßen seine Arbeit und seine Ergebnisse wie der Dammbau oder der genehmigte Etat auf Wohlwollen. Wiegand sei einer, der Bewegung in die Stadt bringe, zupacke. Andere werfen ihm Rechtsbruch vor. Wenn das Landgericht Halle in vier Wochen die Hauptverhandlung eröffnen sollte, wird dieser Streit öffentlich im Gerichtssaal ausgetragen. Für Wiegand steht viel auf dem Spiel.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Oberbürgermeister von Halle, Bernd Wiegand, schwere Untreue in drei Fällen zur Last.
Die Staatsanwaltschaft legt dem Oberbürgermeister von Halle, Bernd Wiegand, schwere Untreue in drei Fällen zur Last.
dpa/ARchiv Lizenz