Ab minus 15 Grad gibt sogar Olga auf
BRACHWITZ/MZ. - Der Ruf "Fährmann, hol' über!" wird auch am letzten Tag des Jahres in Neuragoczy / Brachwitz erhört. Zumindest in der Zeit von 9 bis 17 Uhr. "Und wenn das Wetter es zulässt", sagt Pächter Karl Michael Reuter.
Mittwoch jedenfalls begannen die Fährleute ihren Dienst mit Schnee schieben und Abstumpfen der Zufahrten und Fähr-Plattform, ehe die ersten Passagiere übersetzen konnten. Gerüstet sind Reuters Leute auch für eisige Temperaturen, aber: "Drei Tage minus 15 Grad, da geht überhaupt nichts mehr, die Saale friert zu, da ist auch unsere Olga machtlos", erklärt der Pächter.
Olga? Wer ist Olga? Während Uwe Bachmann die neuen Passagiere in ihren Autos auf Deck einweist, deutet Reuter auf ein kleines, unscheinbares Boot, den "Eisbrecher Olga". "Das ist es, unser Russenschubschiff", sagt Reuter und lacht aus vollem Herzen. Bis zwölf Zentimeter Eis kann das Boot brechen, kommt's dicker, ist Schluss.
Der 59 Jahre alte Reuter ist seit 2004 Pächter an der Saale und betreibt neben der Fähre Brachwitz auch die in Brucke / Rothenburg. Sechs Arbeitsplätze hat der umtriebige Unternehmer in Sachen Tourismus und Schifffahrt geschaffen. Manchmal sei es schon ein hartes Brot, keine Kennziffer des Wirtschaftens aus den Augen zu lassen - Dieselpreise, Versicherungen, Schiffsrevisionen, Investitionen. Und der Mann hat noch eine Menge Ideen im Kopf, wie er sagt, und lässt sich auch nicht entmutigen, wenn etwas nicht so läuft, wie es seiner Meinung laufen könnte. "Wir haben in Brachwitz einen Bootsanlegesteg für Wassertouristen gebaut. Der wird gut genutzt. Unsere Idee, um eine gastronomische Versorgung in einem Glaspavillon zu erweitern, wurde im Gemeinderat abgelehnt", sagt Reuter.
Nur ganze 1,5 Minuten dauert eine Überfahrt. Bis 30 Tonnen dürfen dafür geladen werden. "Auf die Fähre passen acht Pkw", sagt Uwe Bachmann. Da bleiben ungewöhnliche Ereignisse nicht aus, zum Beispiel, wenn ein Fahrer das Gewicht seines Lkw nicht kennt. Im Fährhaus direkt am Ufer holt Reuter Fotos hervor. Ein Sattelauflieger hatte beinahe die Fähre versenkt. Mit einer spektakulären Bergungsaktion wurde der - wie sich später herausstellte - 32 Tonnen schwere Laster an Land gebracht. Eine Autowäsche der ganz anderen Art zeigen die nächsten Fotos. Ein nagelneuer Pkw sollte durch einen Werksfahrer getestet werden, der gerade das Fährgeld bezahlte. "Alle staunten über das Fahrzeug mit Super-Ausstattung und Hightech. Plötzlich fing es an zu rollen und landete im Fluss. Die Handbremse war nicht angezogen", so Reuter. Irgendjemand stoppte die Zeit, bis das Auto versank. Es waren exakt drei Minuten. Reuter sagt, für die Bergung des Flitzers musste ein Taucher geholt werden, um die Seile unter Wasser zu befestigen. Solche Aktionen seien freilich die Ausnahme. "Wir sind ein ganz normaler Verkehrsbetrieb", meint der Pächter. Die Fähre besteht - mit Unterbrechungen - seit über 100 Jahren. Eine solche Unterbrechung war die Brücke, die 1945 gesprengt wurde.