60 Jahre «Kathi» 60 Jahre «Kathi»: Erfolg in Tüten

Halle (Saale)/MZ. - Wie aus Leberwurst Kuchen wird? Das hätte Käthe Thiele in den hungergeplagten Nachkriegsjahren sicher auch gern gewusst. 60 Jahre später haben es die Nachkommen der gebürtigen Hallenserin doch irgendwie geschafft. Denn war es einst die herzhafte Wurstpaste, mit der Käthe Thiele handelte, sind es nun Kuchen, die angerührt, gebacken und verzehrt werden. Ihr Lebenswerk: Kathi-Backmischungen.
Es ist sieben Uhr in der Früh, wenn in der Berliner Straße in Halle die Maschinen angeschmissen werden. Flink beginnt einer der wuchtigen Apparate, Weizenmehl, Zucker und Weizenstärke zu vermengen. Es zischt und pufft, Druckluft vermischt die Zutaten. Bis die fertige Kuchen-Backmischung aber in die ganze Welt verschickt werden kann, ist es noch ein langer Weg. Durch Maschinen, über Bänder und prüfende Waagen müssen die Portionen noch laufen.
Früher war das alles mühsame Handarbeit. Das Mehl musste in riesigen Bottichen gemischt, das fertige Pulver einzeln eingetütet werden. Früher, das war vor 60 Jahren im Jahr 1951. 60 Jahre, in denen das Unternehmen, das heute Kathi Rainer Thiele GmbH heißt, Erfolge und Niederlagen erlebte. Angefangen aber hatte alles mit Käthes Leberwurst. Wer in der Nachkriegszeit Essen auf dem Tisch haben wollte, musste erfinderisch sein. "Eier, Mehl, Zucker - damals mangelte es eigentlich an allem", erinnert sich Käthes Sohn Rainer Thiele an die Sorgen seiner Eltern zurück. So begann das Paar eigene Brotaufstriche zu kreieren, zog durch den Kreis, um sein Produkt gegen Lebensmittel einzutauschen. Aus dem erfinderischen Handel wurde bald ein reges Geschäft. Die Idee, eine Firma zu gründen, war geboren. Kathi sollte das Unternehmen heißen - eine Kombination aus Vor- und Nachnamen der Gründerin. "Mein Vater ließ sich das einfallen. Der Name ist eine Hommage an meine Mutter", erkennt Rainer Thiele heute. Die Produktion von kochfertigen Suppen, Soßen und Kartoffelprodukten konnte beginnen.
Die zischenden Geräusche aus der Vormischanlage sind noch immer unüberhörbar, auch als die Grundzutaten schon längst eine Station weiter nochmals gründlich durchgemengt werden müssen. Von dort wandert das Pulver in große Vorratsbehälter und kommt so den Abfüllanlagen ein Stück näher.
Eine, die stets einen Blick auf die Zutaten und deren Verarbeitung wirft, ist Susanne Hedicke. Die 46-Jährige ist für Qualitätsmanagement und -sicherung zuständig, wählt Rohstoffe aus, überprüft Lieferungen, beantwortet Kundenanfragen. Bietet ein Händler dem Unternehmen etwa neue Zutaten an, ist es Susanne Hedicke, die für Schokostreusel, Backpulver oder Weizenstärke grünes Licht gibt. "Es kann sein, dass ein Rohstoff gar nicht in unserer Anlage verarbeitet werden kann. Die Mischanlage funktioniert pneumatisch, manche Zutaten können die Maschine verkleben", erklärt die studierte Lebensmitteltechnologin. Haben die Zutaten erst einmal die Mischanlagen passiert, wird eingesackt. Die Portionen werden in weiße Beutel abgefüllt und abgewogen.
1962 gingen die ersten Kathi-Backmischungen weg wie warme Semmeln. Käthes Ehemann und Mitbegründer Kurt Thiele fand die Idee des "Tütenkuchens" so überzeugend, dass er das Tortenmehl höchstpersönlich in seinem alten Opel Olympia von Geschäft zu Geschäft fuhr. Der Betrieb wuchs genauso wie das Sortiment. "Das starke Wachstum hat damals natürlich überhaupt nicht in das sozialistische Bild der DDR gepasst", sagt Rainer Thiele. "Es ging Macht vor Recht, alle Rezepte mussten schließlich abgegeben werden." 1972 sah es nach einem Ende der Erfolgsgeschichte aus: Die Familie wurde enteignet - ein Tiefschlag, von dem sich Käthe und Kurt Thiele nie mehr erholen sollten. Der Vater erkrankte schwer, Sohn Rainer wurde für kurze Zeit Werkdirektor.
Susanne Hedicke lernte den Betrieb noch zu DDR-Zeiten kennen: Im März 1989 stieg sie in das Unternehmen ein, welches sie bereits aus Berliner Studienzeiten kannte. Kathi-Pizzateig habe es nur dort gegeben, einen ganzen Vorrat davon habe sie regelmäßig mit in die Heimat gebracht. "Aus Berlin kamen wir immer mit vollen Autos zurück", erinnert sie sich. Im Unternehmen aber sollte ein Umbruch stattfinden: Als die politische Wende bereits in der Luft gelegen hatte, starb Gründerin und Namensgeberin Käthe Thiele. Noch am Sterbebett versprach ihr Sohn Rainer, ihren Betrieb zurückzugewinnen. Die Ideen zur Übernahme liefen auf Hochtouren.
So wie heute die Maschinen. Laufen die Päckchen erst über die Bänder, wird jedes einzelne gewogen und je nach Sorte werden verschiedene Beipacks wie Schokostreusel zu den weißen Beuteln gelegt. Damit auch alle Backutensilien beisammen bleiben, werden sie noch einmal verpackt. Dieses Mal in stabile Kartons, von denen der Kathi-Schiftzug in rot und gelb leuchtet.
Rainer Thieles Bemühungen, den Familienbetrieb wieder aufzubauen, sollten nicht unbelohnt bleiben. 1991 erhielt er das Unternehmen zurück.
"Anfangs war das Risiko groß. Die Familie hat viel aus eigenen Mitteln investieren müssen, ohne dass ein großer westdeutscher Betrieb hinter ihr stand", erinnert sich Susanne Hedicke zurück. Besonders der damalige Geschäftsführer Rainer Thiele begann früh, Kontakte zu Händlern zu knüpfen, konnte so reichlich Erfahrung sammeln. "Es waren auf einmal alles neue Vertriebswege", sagt die Hallenserin heute. Die Investitionen sollten sich aber bezahlt machen. 1994 konnte das Unternehmen mit neuen Anlagen von der Jenaer in die Berliner Straße umziehen, dort ein neues Lager errichten und später am alten Standort ein großes Logistikzentrum eröffnen. "Alle haben damals gesagt, dass es viel zu groß für die Firma sei", lacht Susanne Hedicke. Heute aber, sagt sie, ist es zu klein. Zum Teil müsse sogar auf den alten Standort zum Lagern ausgewichen werden. Dorthin werden auch die befüllten Faltschachteln gebracht, wenn sie in der Produktionsstätte in der Berliner Straße für den Handel in Kartons verpackt werden. Und von dort geht es dann weiter in die ganze Welt. Die Geschäfte führt heute Käthe Thieles Enkel Marko Thiele. Schon als er noch Kind war, schmiedete seine Oma Pläne, ihrem Nachwuchs den Betrieb zu überlassen, erzählt Marco Thiele. Scheinbar hat sie alles richtig gemacht.
