111 Jahre "Marie Hedwig" 111 Jahre "Marie Hedwig": Wie Halles Schiffrestaurant einen Bombenangriff überlebte

Halle (Saale) - Es ist aus der halleschen Gastronomieszene längst nicht mehr wegzudenken - nicht nur wegen seines Alleinstellungsmerkmals: Die „Marie Hedwig“ am Rive-Ufer ist Halles einziges Restaurantschiff. Seit 23 Jahren ist „das Schiff“, wie die Hallenser und inzwischen auch viele Gäste der Stadt kurz und bündig sagen, dank Inhaber Veit-Hagen Braun und seiner Frau Sylvia eine feste Adresse.
Stammtischler treffen sich dort und Pärchen, Feiergesellschaften und auch jene, die einfach mal in aller Ruhe dem dahinfließenden Wasser der Saale nachschauen möchten.
„Marie Hedwig“ wird 111 Jahre - und wäre beinahe in der Schrottpresse gelandet
In diesem Jahr nun feiert die Bootsschenke einen Schnapszahl-Geburtstag: Ganze 111 Jahre alt ist sie geworden - eine betagte Dame also, die ihren Namen von ihrem ersten Eigner erhalten hat und auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken kann. Das Jubiläum ist auch deshalb ein besonderes, weil das Schiff ohne den Enthusiasmus seiner jetzigen Besitzer in der Schrottpresse gelandet wäre.
1907 auf der Werft Woth in Parchim erbaut, hat der erste Schiffsbesitzer Adolf Schütt den Lastkahn nach seinen beiden Töchtern Marie und Hedwig benannt. Sohn Walter wurde damals zweiter Eigner. Zu dieser Zeit transportierte der Kahn, mit Holzboden und Segel ausgestattet, Getreide und Holz, Kaffee, Nüsse und Bienenhonig, Dünger, Stückgut, Steine.
Im Zweiten Weltkrieg traf eine Bombe die „Marie Hedwig“
„Das Schiff war damals auf allen größeren Wasserstraßen Deutschlands unterwegs“, so Veit-Hagen Braun. Anfangs wurde es von Menschen oder Pferden am Ufer entlanggetreidelt. Dank des 300 Quadratmeter großen, 20 Meter hohen Segels konnte die „Marie Hedwig“ die Windkraft nutzen, bevor 1938 ein Dieselmotor eingebaut wurde.
Im Zweiten Weltkrieg, in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943, traf eine Bombe die „Marie Hedwig“: Sie sank im Hamburger Hafen. Doch trotz klammer Kasse bargen die Schütts das Schiff und machten es auf der Werft in Parchim wieder flott - inmitten des Krieges.
Wie Veit-Hagen Braun das Schiff damals für sich entdeckte
1946 ging das Schiff wieder auf Fahrt. Nacheinander übernahmen Walter Schütt und später dessen Sohn Werner den Kahn, bevor er 1994 für immer festmachen musste - die Konkurrenz aus Polen und Holland war zu groß. Doch das war - zum Glück auch für die Hallenser - nicht das Ende des Schiffes.
Veit-Hagen Braun, als Gastronom damals unter anderem in der Oper, in Buna und in Coswig tätig, entdeckte 1993 bei einem Urlaub in Binz das Schiff. „Wir haben uns sofort in den Kahn verliebt“, so Braun, der sich gemeinsam mit Ehefrau Sylvia daran gemacht hat, den Lastkahn in ein schwimmendes Restaurant umzubauen.
Auf der Werft in Zehdenick wurde der Rumpf völlig entkernt, auch ein neues Dach musste her. „Das schaffen wir nie“, habe Braun damals gedacht - und doch nicht aufgegeben. Die zwei Söhne der Brauns sind während der Arbeiten quasi auf dem Schiff großgeworden.
Pünktlich zum Laternenfest 1996 konnten die Brauns dann die ersten Gäste empfangen. „Damals gab’s Räucherfisch und Bier“, erinnert sich Sylvia Braun. Später waren es Bratwurst, Wiener und Steak, und heute wartet die Bordküche, in der Veit-Hagen junior am Herd steht, mit maritimer Küche (Grüner Hering!) und Hausmannskost, mit Salaten, Kaffee und Kuchen auf - und einem herrlichen Blick über die Saale. (mz)
