Mansfeld-Südharz Mansfeld-Südharz: Über Monte Christo nach Paris
HELBRA/MZ. - "So weit ich auch in der Welt rumgekommen bin - es hat mich immer wieder ins Mansfelder Land gezogen, vor allem nach Helbra und Eisleben, den Stätten einer schönen, unbeschwerten Kindheit und Jugend", erzählt Elke Seel-Viandon, viel gefragte Abiturienten des Eisleber Luther-Gymnasiums von 1961 beim Klassentreffen nach 50 Jahren. Damals entspann sich nämlich eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, die das Mädchen aus dem Mansfelder Land, die heute in Eppingen im Kraichgau wohnt, mitten in die aufregende Filmwelt nach Paris führen sollte.
Dabei stammt Elke Seel-Viandon eigentlich aus dem Rheinland, wo sie am 5. Februar 1943 während des "totalen Krieges" geboren wurde. Doch wegen der zunehmenden Bombenangriffe auf das Ruhrgebiet floh ihre Mutter mit dem Baby ins damals noch ruhige Mansfelder Land zu Elkes Urgroßvater Hermann Meiling. In dieser Umgebung wuchs das Kind fröhlich auf: Sie besuchte die Polytechnische Oberschule in Helbra, und als sehr guter Schülerin stand ihrer Delegierung zur Erweiterten Oberschule "Martin Luther" in Eisleben nichts im Wege. Fremdsprachen und Literatur waren ihre Lieblingsfächer.
Schon mit acht Jahren hatte das wissbegierige Mädchen alle Romane von Dumas gelesen und sich besonders für den "Graf von Monte Christo" interessiert. 1960 wurde der verfilmte Roman auch in Helbra aufgeführt. Elke sah sich beide Teile an. Begeistert von der romangetreuen Verfilmung schrieb sie einen 15 Seiten langen Brief in französischer Sprache an den Regisseur Robert Vernay, der eigentlich mit Nachnamen Georges Viandon hieß. Und sie bekam überraschenderweise Antwort: einen Brief des Regisseurs, in dem er all ihre Fragen beantwortete.
Plötzlich kam eine Einladung
"Ich war stolz wie Oskar - natürlich zeigte ich alles in der Klasse", erzählt sie bei einem Plausch im Hotel "Stadt Nürnberg" in Ahlsdorf, wo sie für ein paar Tage abgestiegen war, um das Klassentreffen zu besuchen und sich wieder mal in der alten Heimat umzuschauen. Von nun an schrieben sich der Helbraer Teenager und der bekannte französische Regisseur, der auch die "Fantomas-Filme gedreht hat, fast wöchentlich.
Inzwischen war das Abitur 1961 vorüber und das Romanistikstudium an der Leipziger Uni genehmigt - da plötzlich folgte eine Einladung nach Paris! Was tun? Es war die Zeit zwischen Abi und Studium, die Mauer war noch nicht gebaut. Die 18-Jährige Elke stellte einen Besuchsantrag zu ihrem Vater nach Hamburg, der dank der Bürgschaft des damaligen Direktors Hinze überraschend genehmigt wurde. In Hamburg hatte ihr Vater als Geschenk zum Abitur einen bundesdeutschen Pass besorgt, die Reise finanziert - und das Abenteuer Paris begann: "Es war ein Traum, ich lernte die Filmstudios, Schauspieler und Regisseure kennen und bekam am Ende den Heiratsantrag von Viandon", erzählt sie über jene aufregenden Tage in der Weltmetropole.
Heimliche Trauung
Nein sagte sie nicht, aber sie bat sich ein Jahr Bedenkzeit aus, denn "abhauen" wollte sie nicht, um ihren Direktor und ihre Familie im Mansfelder Land nicht zu gefährden. Viandon arbeitete inzwischen auch bei der Defa. Elke übersetzte das Drehbuch für den geplanten Film - und nun wurde der Heiratsbeschluss gefasst: Doch die eingereichten Papiere kamen zweimal zurück, es gab Verhöre bei der Stasi. Aber die Arbeit ging weiter.
Sie wurde vom Studium freigestellt, um bei dem geplanten Film als Übersetzerin und Regieassistentin bei der Defa mit zu arbeiten. Dann endlich, 1964 wurde die Heiratserlaubnis erteilt: Am 21. Mai 1964 wurde die Trauung im Helbraer Standesamt vollzogen: Das war die Bedingung der Obrigkeit, um größeres Aufsehen zu vermeiden. Nach einigen Querelen gab es im Juli des gleichen Jahres endlich die Ausreiseerlaubnis.
Dank ihrer Sprachkenntnisse "die ich der hervorragenden Ausbildung an der Eisleber EOS zu verdanken hatte", so Elke Seel-Viandon, fand sie in Paris schnell Arbeit als freiberufliche Dolmetscherin, Regieassistentin, Co-Drehbuchautorin und Schauspielerin. Als ihr Ehemann 1968 eine ruhigere Stelle beim Fernsehen antrat, begann für Elke ein neuer Lebensabschnitt: Sie studierte an der Sorbonne Jura - und schloss mit der Promotion ab. Danach arbeitete sie als Anwältin mit eigener Kanzlei und vertrat vor allem deutsche Firmen.
Doch dann schlug das Schicksal zu: 1988 erkrankte Elke Seel-Viandon schwer. Da ihr Ehemann bereits im Jahre 1979 verstorben war, löste sie ihre beruflichen Verbindungen in Frankreich auf und kehrte nach Deutschland zurück, wo sie in Eppingen eine neue Heimat fand. Hier begann sozusagen ihr drittes Leben: Zwar überwand sie die schwere Krankheit, jedoch wurde sie 1996 durch einen Treppensturz vorübergehend arbeitsunfähig. Doch Untätigkeit lag ihr nicht: Sie wollte ihr Leben, ihre Erlebnisse literarisch verarbeiten.
Sie aktivierte ihr Tonbandgerät und in vier Wochen war ihr erstes Buch "Einmal Paris und zurück" fertig. "Telse", die Romanheldin, entdeckt darin eine ihr bis dahin unbekannte Welt und findet ihre große Liebe, doch ihre Mansfelder Heimat vergisst sie nie. Das Buch endet mit dem Mauerbau. 1998 erschienen, wurde es ein Erfolg, wie auch das zweite Buch, "Wunder dauern etwas länger" im März 2000 fertig gestellt, das hauptsächlich in Leipzig spielt, aber immer Bezug zu Helbra hat, der Heimat der Romanheldin der drei Bände.
Pseudonym wie ihr Mann
Spannend und unterhaltend mit stark autobiographischen Zügen halten sie den Leser in Atem. 2010 folgte der dritte Roman "Von Mord stand nichts im Drehbuch", gleichfalls autobiographisch, der in Marokko spielt. Dieser Roman fand auf der Leipziger Buchmesse starke Beachtung. Ihre Bücher schreibt sie unter dem Pseudonym Claire Vernay in Anlehnung an den Künstlernamen ihres Mannes. An den sie einst als Helbraer Schulkind einen Brief schrieb, der ihr ganzes Leben verändern sollte.
Alle Bände sind über [email protected] zu erhalten.