Erneuerung ist nötig
Hettstedt/MZ. - Das Wort Reformation bedeutet 'Erneuerung'. Im Jahr 2017 wird dieses Ereignis immerhin zum 500. Mal gefeiert. Wie kann man da noch von Erneuerung reden?
Bartsch: Kirche hat Erneuerung immer nötig; das ist ein dynamischer Prozess. Ich denke, Luther hätte das auch so gesehen. Die Reformation war 1517 nicht beendet, sondern sie hat erst begonnen. Dieses Ereignis stellt immer neue Fragen an unser Selbstverständnis. Die Nazi-Zeit und das DDR-System sind jüngere Beispiele dafür, dass Kirche auch zum Träger von Veränderungen geworden ist.
Der Reformationstag war lange kein Feiertag. Hat sich seine Einführung in Sachsen-Anhalt so bemerkbar gemacht, dass er tatsächlich ein Feiertag ist oder nur ein weiterer arbeitsfreier Tag?
Bartsch: Der Tag hat hier eine besondere Stellung. Es ist gut, dass es diesen Tag gibt. Innerhalb der evangelischen Gemeinden gibt es eine stärkere Rückbesinnung auf Luther. Auch die Gottesdienste zum Reformationstag werden besser angenommen. Auch bei Nicht-Christen ist das Wissen über die Reformation als historisches Ereignis gewachsen.
Macht der Martinstag, der am 11. November mit Laternen, Liedern und Hörnchen gefeiert wird, dem Reformationstag Konkurrenz?
Bartsch: Ich mache mir da mehr Sorgen um Halloween. Das sind amerikanische Einflüsse, die der deutschen Spaßgesellschaft gut tun. Aber Halloween hat bei uns keine Wurzeln. Eine Konkurrenz zwischen Reformations- und Martinstag sehe ich nicht. Gut, dass die evangelische Kirche mit Martin einen Heiligen der Vor-Reformationszeit wieder entdeckt hat. Beide Tage sind wichtig. Der 31. Oktober hat eine intellektuellere Dimension, der 11. November eine emotionalere.
Das Verhältnis zwischen Protestanten und Katholiken hat sich innerhalb von fast 500 Jahren stark verändert. Ist nun der Islam ein Thema für den Reformationstag?
Bartsch: In meiner Gemeinde wird das Thema Israel und Islam heiß diskutiert. Ich würde auch Protestanten und Muslime zu einem gemeinsamen Gebet einladen. Wir haben gemeinsame biblische Wurzeln. Als Pfarrer in einer Kleinstadt habe ich mit dem Islam kaum geistliche Berührungspunkte.
Was sind Ihrer Meinung nach Erneuerungsaufgaben für die Kirche im Jahr 2006?
Bartsch: Der Kirche geht es immer nur so gut wie es der Gesellschaft geht. Im Laufe der Zeit sind wir eine Kirche der Pfarrer geworden. Ich möchte sie nicht abschaffen, aber die Verkündigung ist eine Aufgabe der gesamten Gemeinde. Das könnten Laien stärker übernehmen. Was die Gesellschaft betrifft: Kirche hat eine soziale Verantwortung.
Der Film "Luther" mit Joseph Fiennes in der Hauptrolle hatte, als er im Jahr 2003 in die Kinos kam, überraschend viele Zuschauer. Eignet sich Luther heute noch als Identifikationsfigur?
Bartsch: Ja. Er hat selbst Verantwortung übernommen. Solche Leute brauchen wir heute dringend. Ansonsten: Luther war kein Held, sondern ein Mensch, der auch viele innere Kämpfe auszustehen hatte.