Tragische Geschichte Ein Eisleber Stadtteil in Trümmern
Vor 50 Jahren begann in Eisleben im Gebiet der Siebenhitzen für ganze Straßenzüge der Anfang vom Ende. Warum Gas- und Wasserrohre wegbrachen.

Eisleben/MZ. - Spuren des Geschehens, das vor nunmehr 50 Jahren in Eisleben erstmals in aller Öffentlichkeit als „geologische Senkungserscheinungen“ bezeichnet wurde, sind auch heute noch allgegenwärtig, wenngleich schon eine Menge Gras darüber gewachsen ist. Es ist das Gras des Vergessens, weil die Erinnerungen an jenen Stadtteil, der da so nach und nach von der Bildfläche verschwand, mittlerweile verblasst sind. Wenn jedoch die Steine zwischen der Vorderen und Hinteren Siebenhitze reden könnten, dann würden sie auch von der Mittleren Siebenhitze erzählen, die es hier einst gab.

Der Name dürfte den Nachgeborenen kaum noch etwas sagen. Kein Wunder, denn die Straße mit allen ihren Häusern ist ja weg, als hätte es sie nie gegeben. Allein eine Handvoll Fotos im Stadtarchiv künden noch von ihr, und ob weitere Bilder irgendwo in privaten Haushalten schlummern, weiß allein der Himmel.
Stadtteil einfach verschwunden
Dort, wo bis vor einem halben Jahrhundert unterhalb der Clara-Zetkin-Straße die Mittlere Siebenhitze die beiden anderen Siebenhitzen miteinander verband, breitet sich seit Jahren ein großer Parkplatz aus, der von etwas Grün umgeben ist. Nichts deutet mehr darauf hin, dass dieses Areal einst dicht bebaut war.

Wann genau hier für die Häuser der Anfang vom Ende begann, lässt sich nicht einmal auf den Tag genau sagen. Der Heimatforscher Peter Lindner musste bei Durchsicht seiner Chronik feststellen, dass die Angaben über das Geschehen vor 50 Jahren im Bereich der Siebenhitzen spärlich sind. Aber immerhin fand er unter dem 13. Februar 1975 den leider nicht näher erläuterten Hinweis: „Die Stadtverordneten beschließen als Ersatz für die einsturzgefährdeten Häuser in der Clara-Zetkin-Straße und den Siebenhitzen den Bau von 180 Wohnungen am Alten Friedhof.“
Einsturzgefährdete Häuser in der Clara-Zetkin-Straße? Wie das? fragt man sich heute. Antwort darauf geben könnte eine amtliche Verlautbarung, die die Lokalzeitung „Freiheit“ am 26. Februar 1975 unter der Überschrift „Der Rat des Kreises teilt mit“ veröffentlichte und deren Bedeutung noch durch die fettgedruckten Buchstaben hervorgehoben wurde. Zitat: „In den letzten Tagen gab es im Stadtgebiet von Eisleben einige Gas- und Wasserrohrbrüche, die dazu führten, daß im Interesse der Sicherheit unserer Bürger Familien evakuiert und ärztliche Betreuungsmaßnahmen eingeleitet werden mußten. Hervorgerufen wurden diese Vorkommnisse durch geologische Senkungserscheinungen. Betroffen sind dabei die Bereiche Hintere Siebenhitze und Königstraße. Für die gefährdeten Stadtgebiete ist es erforderlich, eine Abtrennung vom Gasversorgungsnetz vorzunehmen.“
Senkungen setzen sich fort
Weiter war zu lesen, dass durch den Rat des Kreises und den Rat der Stadt Maßnahmen eingeleitet wurden, um, so wörtlich, „vorbeugend an den gefährdeten Stellen eventuelle Schäden an den Gasleitungen festzustellen und die senkungsgefährdeten Bereiche zu lokalisieren. Des weiteren wurden Festlegungen getroffen, um die Versorgung der von diesen Maßnahmen betroffenen Bürger mit Heiz- und Kochstellen sowie Brennstoffen zu sichern.“
Abschließend gab es dann noch die Mahnung: „Wir erwarten, daß die Bürger der Stadt Eisleben und die gesellschaftlichen Organisationen die von den Staatsorganen eingeleiteten Maßnahmen unterstützen.“

In den folgenden Wochen und Monaten setzten sich die Senkungen fort, zum Glück jedoch im Schneckentempo. Viele Häuser bekamen Risse, wurden baufällig. Insgesamt mussten 450 Wohnungen geräumt werden, wie die „Freiheit“ am 6. März 1980 rückblickend schrieb. Die betroffenen Bewohner zogen nicht selten in eine der neuen Plattenbauten am Alten Friedhof oder in der Helbraer Straße – zumeist nicht eben ungern, weil dort Fernheizung und Bad einen besseren Komfort boten.
Um das Jahr 1977 kamen die Senkungen schließlich zum Stillstand, wie einer Publikation zu entnehmen ist, die das Geologische Landesamt Sachsen-Anhalt 1998 herausgegeben hat.
Wer mehr wissen möchte
In einem einer Ingenieurgeologische Karte der Lutherstadt beigefügten Erläuterungsheft heißt es unter anderem: „1973/74 entwickelten sich in der Innenstadt drei als Senkungskessel 1, 2 und 3 bezeichnete, weitgehend lagekonstante Absenkungsstrukturen. Wenig später entstanden im Gelände der ehemaligen Karl-Liebknecht-Hütte (Krughütte) zwei weitere Senkungskessel.
Verursacht wurde die unerwartet starke, erneute Beschleunigung der Subrosion durch aufgehende gering-mineralisierte Flutungswässer am Südwestrand der Mansfelder Mulde. . . Im Senkungskessel 1 wurden im Zeitraum 1975/76 maximale Senkungsgeschwindigkeiten von 1.150 Millimeter im Jahr festgestellt. Die Bodenbewegungen führten durch Pressungen im Kesselzentrum und Zerrungen in der Randzone letztlich zum Verlust der gesamten Bausubstanz im Bereich Clara-Zetkin-Straße/Siebenhitzen.“
Heute ist das Areal zwischen den Siebenhitzen oberhalb der Clara-Zetkin-Straße bis hinauf zur Alten Feldstraße als Spiel- und Familienpark ausgewiesen. Lediglich ein knapp 100 Meter langes Stück Fahrbahn der Hinteren Siebenhitze wartet noch auf seine Instandsetzung.
Woher kommt der Name?
Über die Bedeutung des ungewöhnlichen Namens „Siebenhitze“ haben sich schon Generationen von Forschern die Köpfe zerbrochen, ohne zu einer restlosen Klärung zu gelangen.
Allgemein angenommen wird heute, dass der Name slawischen Ursprungs ist und von dem Wort Sibonitza (zu deutsch Galgen) abgeleitet sein könnte, wie es bereits Hermann Größler (1840-1910) vermutete.
„Wir finden bei mehreren Städten im ehemaligen Grenzgebiet solche ‚hitzen‘ nachgewiesen als Siedlung solcher ‚sesshaft gemachten‘ Slawen“, heißt es dazu in einer Veröffentlichung des Eisleber Heimatmuseums (1966) mit dem Hinweis darauf, dass hier im 8. Jahrhundert während der Ostexpansion Kaiser Karls des Großen slawische Gefangene angesiedelt worden sein könnten.