Mordfall Yangjie LiYangjie Li: Dessau-Roßlaus OB sorgt sich um Ruf der Stadt
Dessau-Roßlau - Dessau-Roßlaus Oberbürgermeister lässt die grausame Tat nicht los. Doch von der Stadt sieht er falsches Bild gezeichnet.
Der Mord an der chinesischen Studentin Yangjie Li hat Dessau-Roßlau in einen Schockzustand versetzt. Die Tat wühlt die Einwohner bis heute auf.
Dessau-Roßlaus Oberbürgermeister Peter Kuras zeigt sich tief entsetzt „über die menschliche Verrohung“ der Täter. Doch er sorgt sich auch um den Ruf der Stadt.
Herr Kuras, der Mord an der jungen Studentin Yangjie Li lässt die Stadt nicht los. Wie sind Sie in den vergangenen Wochen mit den Erschütterungen umgegangen?
Kuras: Diese Tat treibt mich um. Mich hat zutiefst diese menschliche Verrohung entsetzt, in der Menschen zu so etwas fähig sind. Diese talentierte junge Frau wurde vergewaltigt und furchtbar zugerichtet. Das lässt mich erschaudern und hat mich manchmal auch schlaflos gemacht. Bis heute wühlt dieser Mord die ganze Stadt auf. Und wir denken ja, dass wir in einer Wissens- und Zivilgesellschaft leben. Aber: Tun wir das?
Es gab eine große Anteilnahme vor Ort und weltweit. Ist das auch eine Art Trost?
Kuras: Das große Mitgefühl hat mich sehr berührt. Es ist ein positives Zeichen aus unserer Stadt, wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt von ,positiv’ sprechen kann. Es gab viele Spenden und eine Schlange von Menschen, die sich in das Kondolenzbuch eintragen wollten. Da waren nicht nur Chinesen dabei. Man erkennt daran, dass die Menschen offenherzig trauern können. Das macht alles in keinster Weise besser, aber es ist bemerkenswert. Und es zeigt auch: Oftmals ist die Stadt besser als ihr Ruf.
Alberto Adriano, und Yangjie Li sind in der Stadt ermordet worden. Der Tod von Oury Jalloh ist bis heute nicht endgültig geklärt. Ihre Namen und der Vorwurf von Behördenversagen werden immer mit Dessau in Verbindung gebracht werden. Ist man als Oberbürgermeister dagegen machtlos?
Kuras: Wir müssen damit umgehen, es bleibt nichts anderes übrig. Wenn man es objektiv betrachtet, sind es Einzelfälle, die mit dem Wesen der Stadt nichts zu tun haben. Sie sind auch nicht vergleichbar. Bei Oury Jalloh konnte der Fall nie vollständig aufgeklärt werden, und für manche gibt es auch kein zufriedenstellendes Urteil. Ich hoffe, dass das bei Yangjie Li nicht so wird. Aber auch wenn der Rechtsfrieden wie im Fall von Oury Jalloh nicht hergestellt werden kann, muss die Bürgergesellschaft zeigen, dass wir eine weltoffene Stadt sind, in der rechtsstaatliche Prinzipien gelten. Die Stadt muss so etwas leben. Das ist die einzige Chance, die wir haben.
Sorgen Sie sich um den Ruf von Dessau-Roßlau? Für einige, auch in China, gilt die Stadt inzwischen als Ort des Schreckens.
Kuras: Der Umfang der Berichterstattung hat der Stadt geschadet, ja. Da kann man noch drei Stadtmarketinggesellschaften gründen, sie können das nicht wettmachen. Ich meine damit auch unbedachte Beiträge, die die Menschen hier wirklich sehr aufgebracht und ein Bild der Stadt gezeichnet haben, das ihr nicht gerecht wird. Zu Beginn waren wichtige Berichte dabei: Sie haben aufgerüttelt und vielen gezeigt, was hier eigentlich los ist. Aber ich wäre jetzt nicht böse, wenn nur dann etwas geschrieben wird, wenn es tatsächlich etwas Neues gibt.
„Es wäre ein sehr, sehr schweres Gespräch geworden.“
Sie hatten in jener Woche, als die Tatverdächtigen verhaftet wurden, eine chinesische Wirtschaftsdelegation zu Gast. Konnte da überhaupt eine vertrauensvolle Basis entstehen?
Kuras: Ich habe schon leichtere Reden gehalten. Ich will die Pressekonferenz des Oberstaatsanwaltes nicht weiter kommentieren, aber sie hat geschadet. Das hat sich in China wie ein Lauffeuer verbreitet und unsere Gäste höchst empört. Damit wurden auch die Bemühungen gefährdet, eine partnerschaftliche Verbindung herzustellen. Dessau-Roßlau will mit Unternehmen in China zusammenarbeiten, dafür gibt es eine Absichtserklärung seit vergangenem Jahr. Es ist schlimm, wenn durch so eine schreckliche Tat das Verhältnis beeinträchtigt wird, für das ich mich auch persönlich eingebracht habe.
Hatten Sie Kontakt zu den Eltern von Yangjie Li, als sie in der Stadt waren?
Kuras: Ich habe ein Treffen gemeinsam mit dem Präsidenten der Hochschule angeboten. Auch eine Trauerfeier in der Marienkirche hätten wir gemacht. Die Eltern wollten das nicht, diesen Wunsch habe ich respektiert. Es wäre ein sehr, sehr schweres Gespräch geworden. In so einer Situation fehlen einem die Worte.
Dessau ist ein Hochschulstandort, an dem viele chinesische Studenten studieren. Wie wollen Sie die in ihren möglichen Ängsten oder auch Misstrauen erreichen?
Kuras: Ich bleibe bei meinem Wort aus der Trauerrede auf dem Seminarplatz: Wir freuen uns, dass wir so viele ausländische Studierende in Dessau haben. Und dieses Gefühl werden meine Mitarbeiter und ich ihnen auch weiterhin vermitteln. Ich hoffe, dass sie sich nicht zurückziehen aus dem gesellschaftlichen Leben. Denn sie sind immer willkommen und wichtig für unsere Stadt.
Wie Peter Kuras die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft beurteilt.
Haben Sie persönlich noch Vertrauen in die Polizei und Staatsanwaltschaft? Es gibt nicht nur Kritik am Oberstaatsanwalt, sondern auch an den Eltern des Tatverdächtigen, beide sind Polizisten.
Kuras: Ja. Das gesamte System funktioniert schon. Aber in der Tat ist kaum zu glauben, dass der Tatverdächtige der Sohn einer Polizistin und der Stiefsohn eines Revierleiters ist. Aber: Ich habe den Eindruck, dass alles Nötige unternommen wird, um dem Verdacht einer Befangenheit oder Beeinflussung entgegenzutreten. Die Polizei geht den Vorwürfen nach, die Eltern sind suspendiert. Es geht nun darum, das Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen.
Sind die beiden Polizeibeamten zu spät suspendiert worden?
Kuras: Ich will da die Entscheidungen des Innenministers nicht bewerten und niemanden belehren. Er hat recht: Es ist eine schwierige Abwägungssache. Der Dienstherr hat eine Fürsorgepflicht für seine Beamten und muss gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass das Vertrauen der Bevölkerung sichergestellt ist.
Wie kann so etwas wie Normalität in die Stadt zurückkehren?
Kuras: Der Fall muss aufgeklärt, die Schuldigen müssen überführt und bestraft werden. Der Rechtsfrieden ist herzustellen. Das ist der erste Schritt, damit das Verhältnis wieder ins Gleichgewicht kommt. Wenn das geschafft ist, müssen wir nach vorn schauen. Da ist dann auch die neu gegründete Stadtmarketinggesellschaft gefordert. Wir müssen unsere Vorzüge zeigen. Dessau-Roßlau ist die Stadt der Aufklärung und der Moderne. Das muss stärker ins Bewusstsein gelangen.
Viele fordern nun einen Ort des Gedenkens. Ein Mahnmal dort, wo Yangjie Li gefunden wurde. Was halten Sie davon?
Kuras: Es gibt Gespräche dazu, die noch nicht abgeschlossen sind. Ich war da sehr zwiegespalten. Zu einer demokratischen Gesellschaft gehört, dass schreckliche Fälle aufgearbeitet werden - auch wenn es wehtut. Und ich will keinesfalls, dass etwas unter den Tisch gekehrt wird.
Andererseits ist es vielleicht auch nicht förderlich, wenn diese Dinge immer wieder ins Bewusstsein kommen und in den Medien verbreitet werden. Ich glaube jetzt aber, dass wir da durch müssen, wir müssen das aushalten. Alles andere wäre am Ende vielleicht auch gefährlich. Verschweigen hilft nichts. (mz)